Dienstag, 28. Oktober 2025

Genozid. Völkermord in der Geschichte

 Norman M. NaimarkGenozid. Völkermord in der Geschichte, 2017 engl., 2018 dt.

Völkermorde in der Geschichte (Wikipedia)

NaimarkGenozid Inhalt 
Einleitung S.7 
Die Antike 15 
Kriegergenozid 26 darunter Mongolen Sturm.
Die spanische Eroberung 51
Siedlergenozid (Kolonialismus), 69
Moderne Genozide 92
Kommunistische Genozide 119
Antikommunistische Genozide 144
[1970-1995 Völkermord an den Ixil in GuatemalaS.144-152]
Genozide nach dem Kalten Krieg 169
Schluss 194 

Chronologie S.198:
1020-930 vor Christi Geb. Königreich Israel.
800 v.Chr. Aufstieg der griechischen Stadtstaaten.
431-404 v. Chr. Peloponnesischer Krieg.
149-146, v. Chr. dritter punischer Krieg zwischen Rom und Karthago.
 1095 Papst Urban ruft zum ersten Kreuzzug auf.
1206 Gründung des Mongolenreichs unter Dschinghis Khan
1208 Papst Innozenz ruft zum Albigenserkreuzzug auf.
1492 Christoph Kolumbus erreicht die neue Welt.
519-521 Eroberung Mexikos unter Hernán Cortés.
1524-1530 Francisco Pizarro zieht gegen die Inka zu Felde.
1824-1832, "Black War" gegen die Aborigines in Tasmanien
1856-1864 Vernichtung der Yuki im Round Valley (Mendocino County, Kalifornien)
1904-1907 Kriege gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika.
 24.4.1915 Tag des Völkermord an den Armeniern.
1932-1933 Hungersnot in der Ukraine (Holodomor),
1.9.1939 Hitlers Überfall auf Polen; Beginn der Ermordung von Juden und Polen.
20.1.1942. Auf der Wannseekonferenz wird die Endlösung der Judenfrage beschlossen.
Januar 1958 Mao setzt zum großen Sprung nach vor an.
30.9.1965 bei einem Putschversuch. In Indonesien kommt es zu einem Massaker an den Kommunisten?
12.4.1975 Phnom Penh fällt an die Roten Khmer; Beginn des Völkermords in Kambodscha.
7.12.1975. Das indonesische Militär marschiert in Osttimor ein.
[1970-1995 Völkermord an den Ixil S.144-152]
 6.4.1994 Beginn des Völkermords in Ruanda.
Juli 1995 Völkermord in Srebrenica
2003-2010 Darfur-Krise.
2009-2010 Präsident Omar al-Baschir wird vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord angeklagt. 

Kriegergenozide (S.26ff.)

Mongolensturm (ab 1206) Abschlachtung in großer Zahl, Schädelpyramiden vor den eroberten oder zerstörten Städten sollten den Widerstandsgeist der Angegriffenen brechen 

Mongolische Kriegführung

"[...] die häufigste Taktik war aber ein Angriff mit Fernwaffen, auf den ein Scheinrückzug folgte. Die Mongolen stellten sich in Formationen auf, die häufig 5 Mann tief waren, ritten dann auf 50 m bis 100 m an den Gegner heran und überschütteten ihn mit Pfeilen. Dabei zielten sie zuerst vor allem auf die Pferde der feindlichen Reiterei. Einem Angriff oder Gegenstoß des Feindes folgte dann der erwähnte Rückzug, wobei ein Teil der mongolischen Truppen um den Gegner zog und in dessen Flanken oder Rücken fiel. Dieses Manöver nannte man Tulughma. [vgl. auch: Erste Schlacht bei Panipat]

Die Mongolen ließen dem Gegner immer eine Fluchtmöglichkeit offen und schlossen ihn nie vollständig ein. Damit verhinderten sie, dass der Gegner mit dem Mut der Verzweiflung kämpfte. Jedoch wusste der Gegner nicht, dass fliehende Gegner im Nahkampf attackiert und extrem lang und zäh verfolgt wurden. Die Verfolgung geschlagener Gegner bis zum letzten Mann war ein Kernaspekt der mongolischen Kriegführung und zog sich häufig über mehrere Tage hinweg.

Da ihre Kriegführung in der Mobilität jedem Gegner überlegen war (gegliederte leichte Kavallerie), mussten sie nicht jeden Kampf gewinnen, konzentrierten sich jedoch auf den Angriff auf die Ressourcen der Feinde (Nahrung, Felder, Wasser usw.). Anders als die Mongolen waren die Städte bewohnenden Feinde an ihre Ressourcen gebunden. Die Städte wurden von der Nahrungsversorgung abgeschnitten und die Bauern zur Flucht in die Städte getrieben, so dass dort Seuchen ausbrachen. So verödeten die Städte, bevor man sie überhaupt angriff. Manche Ruinenstädte (in Afghanistan und an der Seidenstraße) sind bis heute verlassen." (Wikipedia)

Der Scheinrückzug erfolgte auch über etwas längere Zeiträume. Wenn die Geflohenen zurückkehrten, erfolgte ein erneuter Angriff. So konnte sichergestellt werden, dass man die Bevölkerung möglichst vollständig töten konnte. (Naimark, S.31/32)


Sonntag, 26. Oktober 2025

 Frank Trentmann widerspricht dem Rückblick von Bundeskanzler Friedrich Merz auf die Nachkriegszeit: 

"[...[ In der Nachkriegszeit, so der Kanzler, konnte es nur aufwärtsgehen. Die Politiker damals hatten es somit einfacher. Vor ihnen „lag ein weißes Blatt Papier“. Er dagegen befinde sich heute in einer gänzlich anderen Ausgangsposition. „Wir haben es in Teilen mit einer blockierten Republik zu tun.“ Mit Letzterem hat Merz recht. Aber seine historische Diagnose ist falsch und somit auch seine Schlussfolgerungen für die Gegenwart.

Zwar war das Ende des Zweiten Weltkriegs für Deutschland vernichtend, doch damit hatten die Politiker noch lange kein weißes Blatt Papier vor sich. Der Kanzler erinnert an die Währungsreform von 1948, nach der die Geschäfte wenige Tage später wieder voll waren. Doch so einfach war es nicht.

Nur zwei Jahre später geriet die junge BRD in eine tiefe Zahlungsbilanzkrise. Die Importe überstiegen im Laufe des Jahres 1950 die Exporte immer mehr und mussten Anfang 1951 eingeschränkt werden; zudem stellte die Bank deutscher Länder, der Vorläufer der Bundesbank, alle Kredite an Banken ein. Bundeskanzler Konrad Adenauer und sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard lagen miteinander im Clinch.

Hinzu kam, dass auf der jungen Bundesrepublik ein gewaltiger Schuldenberg lastete, der sie zu erdrücken drohte – die gesamte Schuldenlast entsprach dem Zehnfachen des westdeutschen Bruttosozialprodukts im Jahr 1950 – zum Vergleich: In Griechenland während der Eurozonenkrise 2010 war es das Anderthalbfache. Erst das Londoner Schuldenabkommen von 1953 machte den Weg frei – acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit einem Schlag wurden der Bundesrepublik fast die Hälfte ihrer Vor- und Nachkriegsschulden erlassen. Die Schulden aus der NS-Zeit wurden ganz auf Eis gelegt und auf eine endgültige Friedensregelung verschoben, die nie kam.

Kanzler Merz erweckt den Eindruck, dass die Menschen damals weniger Ansprüche gehabt und es den Politikern damit einfacher gemacht hätten zu regieren. Doch die junge Bundesrepublik war konfliktgeladen, aufmüpfig und gespalten – sowohl die Parteien als auch die Gesellschaft.  [...]" (Selbstblockade FR 24.10.2025)


Dienstag, 21. Oktober 2025

Hitlers Methode, die Zustimmung der Bevölkerung zu erreichen, war gewiss auch Bestechung

 Götz Aly zeigt das in dem folgenden Gespräch mit   Cornelia Hecht-Zeiler deutlich auf:

https://www.youtube.com/watch?v=EODx3P98PYw&t=2284s

Was mich dabei stört, ist, dass Aly dabei so tut, als seien alle anderen Erklärungen für Hitlers Erfolg, falsch.

Das ist durch seinen Stolz auf seine bisher zu wenig beachtete Überlegung gut zu erklären. Er verzichtet in diesem Gespräch allerdings - wie bei anderen Argumentationen, die ich kenne,  auf die Widerlegung der Argumente der Gegenseite. Das stört mich. 

Aber dass die Bevölkerung vielleicht mehr durch Bestechung als durch Terror gelenkt wurde, ist ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis von Hitlers Erfolg. Das kam zwar in früheren Argumentationen    (1. Mai erstmals gesetzlicher Feiertag, Kraft-durch-Freude-Reisen usw.) zwar vor, aber es kam zu kurz.

Krankenversicherung für Rentner (1941), Witz: Der Führer besucht Fabrik fragt den Betriebsleiter Gibt es noch Wähler linker Parteien? Der: 40% SPD, KPD wählten die anderen 60%. Der Führer: „Gibt es gar keine Nationalsozialisten?“ „Nationalsozialisten sind sie doch alle.“]
 1. Weltkriegs gab es Kriegssteuern, im 2. Weltkrieg wurde ein großer Teil der Kriegskosten lange durch Ausbeutung der besetzten Gebiete bezahlt. ["Taktische Maßnahmen", um potenziellen Widerstand einzudämmen. Sie waren sozial und so gesehen auch links.] Der Umtauschkurs in den besetzten Gebieten wurde für die Soldaten künstlich günstig gestaltet. Deshalb konnte mein Vater Päckchen mit Süßigkeiten oder Kleidung nach Hause schicken und sich landeskundliche Bücher kaufen.*
Der Krieg war ein "Schicksal", was man ertragen musste und was man nach Kräften irgendwie sinnvoll zu gestalten suchte, um nicht zu verzweifeln. 

"Günstige Voraussetzungen für den Nationalsozialismus: z.B. der latente Antisemitismus; aber auch die Demokratie. Ohne die wäre Hitler nicht zur Macht gekommen. Beim Kaiser hätte er keine Chance gehabt."

(So habe ich aus seinen Büchern etwas über Charles de Coster erfahren und ein Buch mit der Übersetzung der Kalevala anblättern. Er hat über Finnlands Land und Leute einen Text für seine Mitsoldaten geschrieben. Mein sprachbegabter Onkel hat  etwas Estnisch und Norwegisch gelernt. Englisch zu lernen, hat er abgelehnt, weil er da nicht als Befreier/Besatzer kam, sondern in Deutschland in einem englischen Lager interniert war). So hat der Krieg den Blick geweitet, und ich habe in meiner frühen Jugend in einem Alter etwas über fremde Kulturen erfahren, was der Schulunterricht beiseite lassen musste. Es war herzlich wenig, aber das Bild meines Vaters, den ich nie kennengelernt habe, enthielt außer seinen Fächern, Griechisch und Latein auch Elemente anderer europäischer Kulturen.


Freitag, 17. Oktober 2025

Adenauer aus der Sicht von 2025

"[...] Frei: Er glaubte, dass sie [die NSDAP] sich wieder niederringen lässt, und wollte sie nicht durch zu viel Aufmerksamkeit noch größer machen. Diese Haltung beruhte auf seiner lange Zeit unangefochtenen Amtsstellung. Aber die Nationalsozialisten verstanden es, ihn als korrupt und elitär in Verruf zu bringen. Wohl auch deshalb hat er dem neuen Reichskanzler Hitler vor der Märzwahl 1933 demonstrativ die Begrüßung in Köln verweigert. Das war ein starkes Zeichen. ZEIT: Adenauer galt den Nationalsozialisten als Repräsentant des verhassten Weimarer Systems. Zugleich hatte er überaus autoritäre Züge. Wie stand er zur parlamentarischen Demokratie? Frei: Adenauer war immer ein Mann der Exekutive, nicht des Parlaments. Deswegen hatte er auch mit den Präsidialregimen in der Spätphase Weimars kein großes Problem. Er wollte Taten sehen, und er hat viel geleistet. Auf den Inneren Grüngürtel in Köln war er bis zum Ende seines Lebens stolz. ZEIT: Geboren im Januar 1876, vor 150 Jahren, wurde er im Kaiserreich politisch sozialisiert. Frei: Ja, aber es fiel ihm 1918 überhaupt nicht schwer, sich auf die neue Ordnung einzustellen. Er hegte keine antidemokratischen Affekte. Er »machte« einfach, ließ sich als junger, erfolgreicher und extrem gut bezahlter Oberbürgermeister auf die Republik ein, wurde Präsident des Preußischen Staatsrats. Adenauer war ein überzeugter bürgerlichkonservativer Repräsentant Weimars. ZEIT: Sie beschreiben ihn als ausgeprägten Besitzbürger. Es fällt sogar das Wort Geldgier. Frei: Er war ein Selfmademan. Er hielt es für selbstverständlich, als Oberbürgermeister im modernsten Mercedes gefahren zu werden und ein Haus in bester Kölner Villenlage zu besitzen. Auch während der NS-Zeit fand Adenauer Halt im Materiellen. Das Haus in Rhöndorf, das er 1937 bauen ließ, war seine mentale Burg. Es gab ihm Sicherheit nach einer Zeit, in der ihn sein Lebensmut ziemlich verlassen hatte. In früheren Biografien wurde das kaum thematisiert. 

ZEIT: Er hatte Suizidgedanken? 

Frei: Ja, er hatte 1933 Suizidgedanken. Das verbietet sich natürlich für einen Katholiken, und es verbietet sich für einen Familienvater. »Wenn nicht meine Familie und meine religiösen Grundsätze wären«, schrieb er seinem Freund Heineman, »hätte ich schon lange meinem Leben ein Ende gemacht.« ZEIT: Aus Angst? Hoffnungslosigkeit? Aus einem Gefühl der Demütigung heraus? Frei: Die Niedertracht der Nazis und seine Entlassung als Oberbürgermeister hatten ihn zutiefst getroffen. Er stritt nach 1933 noch jahrelang mit den NS-Oberen um seine Beamtenversorgung. Und er entwickelte einen fundamentalen Zweifel am politischen Verstand, ja der moralischen Zurechnungsfähigkeit der Deutschen. Auch von seinem eigenen politischen Milieu sah sich Adenauer fallen gelassen. Nicht zufällig setzte er sich nach 1945 nicht für die Wiederbelebung der katholischen Zentrumspartei ein, sondern für die Gründung der überkonfessionellen CDU. 

ZEIT: Wobei das katholische Milieu 1933 zunächst viel resistenter gewesen war als etwa das protestantische. Frei: Natürlich. Auch Adenauer war durch seinen Katholizismus geradezu antinationalsozialistisch imprägniert. Überdies pflegte er enge freundschaftliche Kontakte ins jüdische Bürgertum seiner Heimatstadt.

 Als junger Oberbürgermeister hatte er in dem Bankier Louis Hagen einen wichtigen Mentor. 

ZEIT: Warum ist er nicht ins Exil gegangen? Frei: Er glaubte wohl zu wissen, dass die Naziherrschaft nicht tausend Jahre dauern wird, und er wollte sie mit etwas Vorsicht im Reich überstehen. [...]

ZEIT: Adenauer wurde angetragen, sich dem Widerstand anzuschließen. Warum lehnte er ab? 

Frei: Er wollte sich und seine Familie nicht gefährden. Und er hatte politische Bedenken. Schon 1943 soll er im privaten Kreis gesagt haben, dass die Kriegsniederlage, anders als 1918, eine totale sein müsse – sonst gebe es eine neue Dolchstoßlegende. Adenauer war überzeugt, dass Deutschland nur von außen befreit werden könne. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 stand die Gestapo allerdings auch in Rhöndorf vor der Tür. Vier Wochen später wurde Adenauer festgenommen, konnte aber mithilfe eines Kölner Kommunisten aus der Lagerhaft entkommen und tauchte unter. Die Gestapo verhaftete daraufhin seine Frau und erpresste sie mit der Drohung, auch die Töchter einzusperren. Gussie Adenauer verriet das Versteck ihres Mannes und versuchte danach aus Scham, sich das Leben zu nehmen. Beide kamen wieder frei, aber diese Wochen hinterließen Spuren in der Familie. ZEIT: Wie stand Adenauer nach 1945 zum 20.Juli? Frei: So wie die meisten Führungsfiguren der frühen Bundesrepublik: Bis zum zehnten Jahrestag 1954 blieb er zurückhaltend. Zu dominant war immer noch die Stimmung gegen die »Eidbrecher« aus der Wehrmacht, und der Kanzler wollte keine Wählerstimmen verlieren. ZEIT: Gab es eigentlich nur den Pragmatiker Adenauer, der den 20. Juli beschwieg in machttaktischer Rücksichtnahme? Oder war da noch ein anderer? [...]

Frei: [...] Was den Widerstand betrifft, war er ein zu großer Realist und Pessimist, als dass er eine Chance gesehen hätte. Und seine Skrupellosigkeit als Wahlkämpfer ist legendär. Wenn es seiner Sache diente, war Adenauer fast jedes Mittel recht. Er wusste: Ein ganzes Volk hat versagt, und wenn ich es für meine politischen Ziele gewinnen will, kann ich ihm dieses Versagen nicht ständig vorhalten. Mit der ihm eigenen Diskretion des Unkonkreten bemäntelte er daher Dinge, von denen in Deutschland fast niemand etwas wissen, geschweige denn gewusst haben wollte. Selbst in den Verhandlungen über die Entschädigungszahlungen an Israel sprach er nicht von Verbrechen, sondern nur vage von dem »Unrecht«, das den Juden geschehen sei. 

ZEIT: Was hielt er von der Idee der Alliierten, die Deutschen umzuerziehen? Frei: In vertraulichen Korrespondenzen schrieb er 1945/46 ganz unverblümt, dass die von den Nazis indoktrinierte junge Generation umerzogen werden müsse. Die mittlere, die zu verantworten hatte, was passiert war, sei ebenfalls nicht zu gebrauchen. Übrig blieben nur die Weimarer Demokraten seiner eigenen Generation – also allen voran er selbst. Sein Führungsanspruch war insofern auch Folge seines schon erwähnten Misstrauens gegenüber den Deutschen. Sein unausgesprochenes Prinzip war: Ich weiß, was richtig ist, und setze das durch. Entsprechend instrumentell bediente er sich seines Personals: »Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat«, lautete sein Credo im Umgang mit den belasteten Funktionseliten. 

ZEIT: Bereitete es ihm kein Unbehagen, Leuten, vor denen er sich zwölf Jahre lang fürchten musste, wieder den Weg in Ämter und Positionen zu ebnen? Frei: Adenauer wusste, wie opportunistisch die Menschen sind. Unter den neuen, von ihm gesetzten Rahmenbedingungen würden sie schon funktionieren. Diese Denkweise zeigte sich auch in der berüchtigten Causa Globke. 

ZEIT: Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, war Staatssekretär im Kanzleramt. Frei: Wofür Adenauer immer wieder heftige Kritik aus dem In- und Ausland einstecken musste. Aber er hielt bis zum Schluss an seinem Eckermann fest. Globke war dem Kanzler einfach zu nützlich. Und das, obwohl der von sich selbst sagte: Ich hätte das nicht gekonnt, ich hätte 1933 nicht im Reichsinnenministerium bleiben können. 

ZEIT: Hätte es fürs Kanzleramt nicht etwas »saubereres Wasser« gegeben als ausgerechnet Globke? Frei: Da kam, je länger, desto mehr, wohl auch Sturheit ins Spiel, zumal angesichts des Drucks aus Ost-Berlin: Je maßloser die DDR-Propaganda gegen das »klerikalfaschistische Adenauer-Regime« hetzte, desto entschiedener hielt der Kanzler im Zeichen des Antikommunismus dagegen. [...]

Frei: Entscheidend war für ihn der Erfolg, den seine Politik des kalkulierten Beschweigens hatte. Die Bundesrepublik entwickelte sich zu einer funktionierenden Demokratie, und Leute, die eben noch Hitler zugejubelt hatten, jubelten nun ihm zu und wählten demokratische Parteien. Der Preis dafür war, Schluss zu machen mit der »Nazi-Riecherei«. Adenauer handelte in dem Bewusstsein, Deutschland dieses Mal auf den richtigen Weg bringen zu können. Er formulierte nicht in Kategorien des persönlichen Stolzes, aber nach seiner ersten USA-Reise sagte er 1953, er sei stolz darauf, dass der »deutsche Name« wieder etwas gelte in der Welt. Daraus sprach kein primitiver Nationalismus, sondern Genugtuung über eine Leistung, die in seinen Augen auch die NS-Jahre ein Stück weit aufwog.  [...]

Irgendwann verstand dieser dann doch sehr alte Mann die Welt nicht mehr. Aber hinter seinem autoritären Führungsstil steckte auch ein Charakterzug: Adenauer, der Patriarch. Im Greisenalter trat das noch stärker hervor. Auch seine gegen die Sozialdemokraten gerichtete antikommunistische Rhetorik verhärtete sich, ganz zu schweigen von der illegalen Bespitzelung der SPD durch den Bundesnachrichtendienst, die er billigte und von der er profitierte. 

ZEIT: Adenauer hat die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur vermieden. Eines aber setzte er 1952/53 gegen die »Volksstimmung« durch: das sogenannte Wiedergutmachungsabkommen mit Israel. Was waren seine Motive? 

Frei: Zum einen war er überzeugt, dass das begangene »Unrecht« nach Sühne verlangte. Zum anderen war ihm klar, dass die Bundesrepublik von dem Abkommen profitieren würde auf ihrem Weg, wieder ein angesehenes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft zu werden. ZEIT: Etwas »wiedergutgemacht« hat das Abkommen also vor allem für Deutschland? Frei: Nicht »vor allem«. Der junge israelische Staat profitierte erheblich von den Zahlungen. Adenauer wusste natürlich, dass das nicht populär war, weshalb im Stillen verhandelt wurde, auch mit Rücksicht auf die israelische Seite, denn in Israel war das Abkommen ebenfalls umstritten. Zugleich sprach er gelegentlich etwas drohend von der »Macht der Juden«, gerade in Amerika. Womöglich hatte er den berühmten Satz des Hohen Kommissars John McCloy im Ohr, das Verhältnis der Deutschen zu den Juden werde sich als »Prüfstein« für die Entwicklung des »neuen Deutschlands« erweisen. Nicht zuletzt hatte das Thema für ihn eine persönliche Dimension. Besonders deutlich zeigte sich das nach den Hakenkreuzschmierereien an der Kölner Synagoge 1959, die eine internationale Welle der Empörung auslösten. Adenauer hielt damals eine Ansprache, in der er, ganz untypisch, von sich selbst erzählte: In seiner Bedrängnis 1933 seien es zwei Juden gewesen, die ihm als Erste Hilfe anboten. 

ZEIT: Hätte es Alternativen gegeben zu seiner Vergangenheitspolitik, vor allem zum Wiedereinsetzen der Tätergeneration? 

Frei: Grundsätzlich führte nach dem Ende der Entnazifizierung an der Reintegration der Funktionseliten kein Weg vorbei. Aber man hätte an vielen Stellen strenger, genauer und kritischer sein können, etwa bei den Polizeibehörden. ZEIT: War es nicht auch eine riskante Wette, die der misstrauische Adenauer da eingegangen ist? Frei: Ja, das war mit einem gewissen Risiko behaftet, aber er sah sehr schnell, dass er auf dem richtigen Weg war. Es ist atemberaubend, wie rasant und unbeirrbar Adenauer die Weichen gestellt und seine Politik der Westbindung auch gegen Widerstände in der eigenen Partei betrieben hat. Das war revolutionär und bleibt sein größtes Verdienst. [...]"

Norbert Frei

Dienstag, 7. Oktober 2025

ICE (Historisches Stichwort)

 ICE (United States Immigration and Customs Enforcement)

United States Immigration and Customs Enforcement (ICE) ist die größte Polizei- und   Zollbehörde  des Ministeriums für Innere Sicherheit (DHS) der USA mit Sitz in Washington, D.C. Sie wurde 2003 infolge der Terroranschläge am 11. September 2001 vor allem aus dem Immigration and Naturalization Service heraus neugebildet und ist verantwortlich für das Ermitteln, Identifizieren und Enttarnen von Grenzverletzungen und Gefährdungspotentialen des Verkehrswesens und der öffentlichen Infrastruktur. Sie steht auch mit sämtlichen größeren US-Botschaften im Ausland in Verbindung, um legale und illegale Einwanderungsvorgänge zu überwachen. [...] Die Organisation weist das breiteste Aufgabenfeld einer Bundesbehörde in den Vereinigten Staaten auf. Zudem verfügen die ICE Special Agents (deutsch „Spezialagenten“) und Federal Inspectors (deutsch „Bundesinspektoren“) über die weitreichendsten Ermittlungsbefugnisse aller US-Behörden im Inland.[5][6][7] Das Motto lautet Protecting National Security and Upholding Public Safety (Schutz der nationalen Sicherheit und Aufrechterhaltung der Öffentlichen Sicherheit). [...] Die Vollzugsbeamten (Special Agents, Deportation Officers, Immigration Enforcement Agents und Federal Protective Service Police Officers) sind mit Pistolen des Typs SIG P226 bzw. HK USP 40 ausgerüstet. Einige Einheiten verwenden zudem Schrotflinten wie die Remington 870 und Sturmgewehre wie das Steyr Aug (MP). Beim Special Response Team werden das Sturmgewehr Colt M4 und die HK MP5 verwendet.

Das ICE betreibt mit dem Funksystem SECTOR (UHF-Band) das einzige System einer Vollzugsbehörde der Vereinigten Staaten, das das gesamte Staatsgebiet abdeckt. [...] Das ICE ist eine Bundesbehörde und unterliegt daher anderen Vorschriften als die lokalen Polizeibehörden.[11] Es ist befugt, Personen festzunehmen, im Gefängnis zu behalten, während der Fall bearbeitet wird und abzuschieben, wenn sie gegen Einwanderungsgesetze verstoßen haben.[12] Darüber hinaus ist das ICE zur Durchführung von Razzien zur Auffindung von illegalen Einwanderern sowie zur Erforschung von Delikten, welche die illegale Einwanderung betreffen (Menschenhandel, Betrug usw.), befugt.[13]

Für das Betreten von Privatgrundstücken einschließlich eines Gebäudes und für bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen muss das ICE im Besitz eines Haftbefehls sein, der von einem Richter unterzeichnet wurde.[14] Darüber hinaus kann das ICE die lokalen Polizeibehörden um Amtshilfe ersuchen; die lokalen Polizeibehörden sind jedoch nicht dazu verpflichtet, dem Amtshilfeersuchen zu entsprechen.[15]"

(Wikipedia)

Fontanefan: In den Monaten September und Oktober 2025 tauchen in Deutschland Pressemeldungen auf, wonach ICE Menschenrechtsverletzungen begeht. In der Wikipedia werden die bisher noch nicht aufgenommen, weil sie nicht genügend abgesichert zu sein erscheinen. - Es steht zu hoffen, dass sie sich in der Tat nicht bestätigen werden. (8.10.25) In späteren Versionen des WP-Artikels wird man überprüfen können, wie sich die Lage geändert hat. - Dass Donald Trump gegenwärtig daran arbeitet, die Macht der Einzelstaaten durch Einsatz des nationalen Militärs einzuschränken (Wikipedia) könnte darauf hindeuten, dass er versucht, über das Schüren von Angst eine gesetzlich schlecht fundierte Herrschaft des Staatspräsidenten an den Staatsregierungen vorbei zu etablieren.


Sonntag, 5. Oktober 2025

Das größte Bauwerk der Welt

  Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das nicht die chinesische Mauer, sondern es sind die Mauern von Benin.

"[...] Die Überreste der Erdwerke stehen seit 1961 als nationales Kulturdenkmal unter Denkmalschutz, jedoch wurden bisher kaum Konservierungsmaßnahmen unternommen, ebenso wurden die erhaltenen Reste noch nicht vollständig aufgenommen und kartografiert. Desinteresse seitens der Bevölkerung und verantwortlichen Behörden gefährdet zusätzlich den Bestand der Wallanlagen.[7] Um den Schutz der Anlagen und das Bewusstsein über deren kulturhistorischer Bedeutung in der Bevölkerung voranzutreiben, wurde die Benin Moat Foundation gegründet.[12] Am 1. November 1995 wurden die Mauern von Benin zur Aufnahme als UNESCO-Weltkulturerbe vorgeschlagen.[1]"

Mehr dazu in: Zeinab Badawi: Eine afrikanische Geschichte Afrikas

und auch hier

Ralf Georg Reuth: Goebbels

Ralf Georg Reuth : Joseph Goebbels Minderwertigkeitskomplexe und abgrundtiefer Hass Über Ralf Georg Reuths Goebbels-Biografie  Von   Uwe Ull...