Frank Trentmann widerspricht dem Rückblick von Bundeskanzler Friedrich Merz auf die Nachkriegszeit:
"[...[ In der Nachkriegszeit, so der Kanzler, konnte es nur aufwärtsgehen. Die Politiker damals hatten es somit einfacher. Vor ihnen „lag ein weißes Blatt Papier“. Er dagegen befinde sich heute in einer gänzlich anderen Ausgangsposition. „Wir haben es in Teilen mit einer blockierten Republik zu tun.“ Mit Letzterem hat Merz recht. Aber seine historische Diagnose ist falsch und somit auch seine Schlussfolgerungen für die Gegenwart.
Zwar war das Ende des Zweiten Weltkriegs für Deutschland vernichtend, doch damit hatten die Politiker noch lange kein weißes Blatt Papier vor sich. Der Kanzler erinnert an die Währungsreform von 1948, nach der die Geschäfte wenige Tage später wieder voll waren. Doch so einfach war es nicht.
Nur zwei Jahre später geriet die junge BRD in eine tiefe Zahlungsbilanzkrise. Die Importe überstiegen im Laufe des Jahres 1950 die Exporte immer mehr und mussten Anfang 1951 eingeschränkt werden; zudem stellte die Bank deutscher Länder, der Vorläufer der Bundesbank, alle Kredite an Banken ein. Bundeskanzler Konrad Adenauer und sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard lagen miteinander im Clinch.
Hinzu kam, dass auf der jungen Bundesrepublik ein gewaltiger Schuldenberg lastete, der sie zu erdrücken drohte – die gesamte Schuldenlast entsprach dem Zehnfachen des westdeutschen Bruttosozialprodukts im Jahr 1950 – zum Vergleich: In Griechenland während der Eurozonenkrise 2010 war es das Anderthalbfache. Erst das Londoner Schuldenabkommen von 1953 machte den Weg frei – acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit einem Schlag wurden der Bundesrepublik fast die Hälfte ihrer Vor- und Nachkriegsschulden erlassen. Die Schulden aus der NS-Zeit wurden ganz auf Eis gelegt und auf eine endgültige Friedensregelung verschoben, die nie kam.
Kanzler Merz erweckt den Eindruck, dass die Menschen damals weniger Ansprüche gehabt und es den Politikern damit einfacher gemacht hätten zu regieren. Doch die junge Bundesrepublik war konfliktgeladen, aufmüpfig und gespalten – sowohl die Parteien als auch die Gesellschaft. [...]" (Selbstblockade FR 24.10.2025)
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