Samstag, 9. März 2024

Fluchtpunkt Empires. Wahrnehmung und Erfahrung

Ulrike von Hirschhausen, Jörn LeonhardEmpiresEine globale Geschichte 1780-1920

Perlentaucher

https://westeuropa.geschichte.uni-freiburg.de/fluchtpunkt-empires-wahrnehmung-und-erfahrung-joern-leonhard-und-ulrike-von-hirschhausen-zu-gast-bei-l-i-s-a-gerda-henkel-stiftung

https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/zugastbeilisa_leonhard_vonhirschhausen_empires?newsletter=1#audio-11554:

Stichpunkte des Gesprächs:

Kolonisator und Kolonisierte sind keine sich ausschließende Dichotomie

In den konkreten Situationen vor Ort entstehen Mischsituationen

Kritik an Dichotomien

exzessive Landmacht - maßvolle Seemacht

Zentrum (mächtig) Peripherien (abhängig) In den Randregionen ist das so nicht gegeben.

Galizien wurde durch Rohstoff Erdöl wichtiger. Deshalb den Begriff Peripherie fallengelassen. Machtzentrum von der Randregion her in Frage gestellt.

Auch keine Dichotomie Empire und Nationalstaat mehr akzeptiert. 

Nationalisierende Tendenzen bei den Empires

Herrschaftstechnik der Zentrale von der Randregion benutzt, um die Herrschaft zu schwächen. Die imperiale Herrschaftstechnik Volkszählung wird von den Nationen in Wahlen uminterpretiert. In Österreich und im britischen Empire in Indien. Die Gezählten haben eine Konversion des Instruments. - Die Rolle der Kolonialsoldaten im 1. Weltkrieg wird für eine Verbesserung des Status im Empire genutzt. 

Zentrale Versuch über Eisenbahnbau das Empire zu vereinheitlichen, im Randgebiet wird das zum Widerstand benutzt. Vorgeschichte der Dekolonisierung. 

Transsibirische Eisenbahn von Revolutionen gegen die Herrschaft der Zaren genutzt.

Afrikaner nutzen das Rechtsversprechen gegen die Zentrale: gegen Frankreich, gegen Großbritannien im Kontext des Burenkrieges. 

Rolle von Ideologien? Weshalb klappt es nicht mit der Niederwerfung der Randgebiete?

Eine Rolle spielen die Kosten. Verschlankung des Beamtenapparats, bedeutet eine Ermächtigung der Bevölkerung der Randgebiete. Ho Tschi-minh lernt aus dem Vergleich mit den afrikan. Randgebieten., sieht, dass dort günstigere Verhältnisse entstehen. 

Das Neue im Buch:

Globalisierung von Empire - Herrschaft vor Ort

Empire u Nationalstaat gehen ineinander über, weil die Empires nationalstaatliche Modelle zur Modernisierung zu nutzen versuchten, was zu Rückschlägen führte.

Steckt im Buch eine Geschichtstheorie?  Bewohner der Randgebiete entwickeln sich zu Bürgern.

Leonhardt hält dagegen: Senghor (négritude), Gandhi sind Gegenbelege.

Leonhardt: Putin allerdings greift auf den Denkstil des Empire zurück. Ähnlich China gegenüber Taiwan.

Vergleich British Empire USA. Leonhardt: Translatio imperii von Großbritannien zu USA, aber historisch die Vorstellung vom Imperium wegen des demokratischen Impetus nicht einfach aufgreifbar. Der "gute Hegemon" ist nicht zu sehen.


Montag, 26. Februar 2024

Die Nato, das britische Weltreich, das Commonwealth - historische Schlaglichter

 Die Nato hat sich wiederholt das Ziel gesetzt, wonach jedes Mitglied 2% seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben aufwenden sollte.

"Wie entstand das Zwei-Prozent-Ziel? [...] Es handelt sich um ein Ziel, das sich die NATO-Staaten gemeinsam setzten [...] zum NATO-Gipfel 2002 in Prag. Damals wurden die baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien und die Slowakei eingeladen, Mitglieder der Allianz zu werden. Eine Bedingung war es, "genügend Ressourcen" in die Verteidigung zu investieren. Der Richtwert für jeden Aspiranten lautete zwei Prozent seines BIP. Der Gerechtigkeit halber sollten aber auch jene Staaten, die der NATO bereits angehörten, dieses Ziel anstreben Festgeschrieben wurde das Zwei-Prozent-Ziel noch einmal 2014 beim NATO-Gipfel in Wales. Das war nach der Annexion der Krim und dem Kriegsausbruch in der Ukraine." (tagesschau 3.4.2019)

Der aktuelle Grund war, dass die neuen Nato-Mitglieder relativ finanzschwach waren, aber die Gefahr, dass in einem Konflikt mit Russland besonders betroffen wären. Sie zu Mindestzahlungen zu verpflichten, aber Gerechtigkeit zwischen Alt- und Neumitgliedern herzustellen, war ein zweiter Aspekt. Natürlich spielte auch hinein, dass der Aufwand der USA im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten unverhältnismäßig hoch ist:

 "Insgesamt haben die kumulierten Militärausgaben des NATO-Bündnisses im Jahr 2022 geschätzt rund 1,175 Billionen US-Dollar betragen. Davon sind rund 822 Milliarden US-Dollar auf die USA und rund 353 Milliarden US-Dollar auf die übrigen 29 NATO-Staaten entfallen." (de.Statista.com

Vergleichbar war 1897 die Situation zwischen Großbritannien und den anderen Staaten des British Emire:

"Für die See- und Landverteidigung wurden im Vereinigten Königreich jährlich 29 Schilling und 3 Pence pro Kopf der Bevölkerung ausgegeben; in Kanada dagegen nur 2 Schilling, in Neu Süd Welt 3 Schilling und 5 Pence, in Victoria 3 Schilling und 3 Pence, in Neuseeland 3 Schilling und 4 Pence und in der Kapkolonie sowie in Natal nur zwischen 2 und 3 Schilling pro Kopf der weißen Bevölkerung. Chamberlain sagte: 'Nun wird niemand behaupten, dass das eine gerechte Verteilung der für das Reich anfallenden Lasten ist. Niemand wird behaupten, daß das Vereinigte Königreich für alle Zeiten dieses außerordentliche Opfer bringen kann."(Nicholas Mansergh: Das britische Commonwealth 1969, in Kindlers Kulturgeschichte  Europas Bd.17, S. 249)

mehr dazu:






















Bei der Auseinandersetzung zwischen der Gruppe, die das Empire in einen Bundesstaat umwandeln wollten (Imperial Federation League) (Gründung des Vereins 1884), setzten sich zum Glück die durch, die den Kolonien eine größere Selbständigkeit zugestehen wollten. Nur das - so Mansergh - ermöglichte den Übergang des British Empire über die Bildung von Dominions zu den gleichberechtigten Mitgliedern des British Commonwealth im Statut von Westminster 1931, dem heutigen Commonwealth of Nations

Montag, 1. Januar 2024

Helmut Schmidt zu Fragen der Zeitgeschichte

Helmut Schmidt/Giovanni di Lorenzo: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt,   2009/2010; 15. Aufl. 2011

Zitate:

Von der Kubakrise bis zum Nato-Doppelbeschluss

[...] bestand zur Zeit Ihrer Kanzlerschaft wirklich die Gefahr eines Atomkriegs, wie wir damals alle glaubten?

Seit der Kubakrise 1962 keine akute Gefahr. [...]

In diesem Zusammenhang sollte ich erwähnen, dass ich die nukleare Gefahr schon lange vorher sehr deutlich gesehen habe. Als ich 1969 Verteidigungsminister wurde, stieß ich auf Pläne der NATO und der deutschen Militärs, entlang der Zonengrenze auf westdeutscher Seite Hunderte atomarer Landminen zu vergraben.

Von wem stammte denn dieser irrsinnige Plan?
Von der NATO. Gemeinsam mit einem Amerikaner habe ich diesen todgefährlichen Unfug beseitigen können. Der Amerikaner hieß Melvin Laird, er war damals amerikanischer Verteidigungsminister. [...] 
Ich habe gesagt, wenn irgendein kommunistischer Kommandeur in der Verfolgung irgendwelcher flüchtigen Leute über die Grenze rüberkommt und eine atomare Mine geht hoch, dann heben alle deutschen Soldaten die Hände hoch, dann ist Schluss mit der Verteidigung. Dieses Argument hat den amerikanischen Verteidigungsminister überzeugt. Er war genau wie ich ein alter Soldat und wusste, was man Soldaten zumuten kann und was nicht.
Verstehe ich nicht.
Sogar die japanischen Soldaten haben nach der ersten Bombe die Hände hochgehoben. Die zweite Bombe auf Nagasaki war gar nicht mehr notwendig.
Die Massendemonstration im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland wurde als regelrechte Anti-Schmidt-Demonstration verstanden, das war im Jahr 19 81.
Die war auch wohl so gemeint. Aber es war im wesentlichen die Angst vor dem Atomkrieg. Die Anti-Schmidt-Komponente spielte eine zweit- oder drittklassige Rolle; denn mein Amtsnachfolger Helmut Kohl musste etwa später eine gleiche Demonstration aushalten.
Wissen Sie noch, was Willy Brandt damals zu den Protesten von mehr als 300.000 Menschen gesagt hat?
Ich erinnere mich nicht.
Er habe auf deutschem Boden schon Schlimmeres gesehen als eine Massendemonstration für den Frieden.
Ja, das würde ich unterschreiben. Ich habe auf deutschem Boden auch schon viel Schlimmeres gesehen. Willy Brandt hat es von draußen gesehen.
Nimmt das Brands Worten etwas?
Keineswegs. Wohl aber hat der NATO-Doppelbeschluss, gegen den die beiden Demonstrationen sich richteten, zum allerersten Abrüstungsvertrag und auf beiden Seiten zur Beseitigung aller atomare Mittelstreckenraketen geführt."
(29. November 2007, S.91-93)

Sonntag, 31. Dezember 2023

Weltgeschichte

Weltgeschichtsschreibung

Schon Herodot  hat versucht, die Geschichte der gesamten ihm bekannten Welt festzuhalten. Da er sich dabei auf die vorhandene Überlieferung stützte, hat er dafür auch Mythen herangezogen. Mittelalterliche Schreiber von Weltchroniken begannen aus demselben Grund mit der Schöpfung. 

Mit der Begründung der Archäologie gelang es, über die überlieferte Geschichte hinaus (Geschichte im engeren Sinne als Geschichte seit Erfindung der Schrift) durch Nutzung von Überresten Tradition kritisch zu überprüfen und die Menschheitsgeschichte bis zur Entwicklung der Menschen aus den Hominiden zurückzuverfolgen. 

Neue Versuche von Weltgeschichtsschreibung beziehen zum Teil auch die Erdgeschichte mit ein. 

Eine scherzhafte Darstellung der Weltgeschichte findet sich in den Film Weltgeschichte in genau drei Minuten.

Menschheitsgeschichte

Die Geschichte der gesamten Menschheit lässt sich nur in recht abstrahierter Form umfassend darstellen. Sie findet sich im Internet in der Menschheitsgeschichte der Wikipedia. 

Ein Versuch, die Entwicklung differenziert nach Erdteilen und Kulturen darzustellen, findet sich in der Geschichte der Menschheit in Wikibooks.

Jeder Versuch, zum Zwecke der Konkretisierung, noch kleinere Einheiten wie Stämme, Familien oder einzelne Personen einzubeziehen, wird sehr lückenhaft. Im Sinne einer größeren Anschaulichkeit sind diese Versuche aber als Gegenbild zu systematisierender Abstraktion zu begrüßen, z.B. Simon Sebag Montefiore: Die Welt. Eine Familiengeschichte der Menschheit 

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Weltgeschichte (Weltgeschichtsschreibung)

https://de.wikipedia.org/wiki/Menschheitsgeschichte

https://de.wikibooks.org/wiki/Geschichte_der_Menschheit:_Chronologische_Gesamtdarstellung

https://de.wikipedia.org/wiki/Weltgeschichte#Zeitgen%C3%B6ssische_Werke_der_Weltgeschichte_/_World_History

https://de.wikipedia.org/wiki/Weltgeschichte_in_genau_drei_Minuten

https://de.wikipedia.org/wiki/Weit._Die_Geschichte_von_einem_Weg_um_die_Welt                (aktuelle menschliche Vielfalt)






https://de.wikibooks.org/wiki/Geschichte_der_Menschheit:_Chronologische_Gesamtdarstellung


Mittwoch, 27. Dezember 2023

Simon Sebag Montefiore: Die Welt. Eine Familiengeschichte der Menschheit

 Simon Sebag Montefiore: (original: The World: A Family History) deutsch: 2023, 1534 Seiten

Das Gegenteil der notwendig abstrahierenden Darstellung der Menschheitsgeschichte in der Wikipedia.

Der Trick ist, dass der Verfasser Osterhammels Methode der Darstellung des Gleichzeitigen und des Kulturbereich-Spezifischen aufgreift und tatsächlich auf (mehr oder minder!) die gesamte per Tradition überlieferte Geschichte anwendet und andererseits konsequent Strukturbetrachtung zugunsten von Personalisierung zurückstellt.

Zitate:

"Ein Erfolg für die Amerikaner war, dass sie die Ukraine und Kasachstan davon überzeugen konnten, die [...) Atomwaffen aufzugeben" (S.1389)
"In diesem Werk [...] verwebt Montefiore die Geschichte von Dienern, Höflingen, Königen, Eroberern, Predigern und Philosophen, die Geschichte gemacht haben. Eine brilliante Synthese, die selbst den Belesensten neue Einblicke geben wird." (Henry Kissinger), S.1466.

Auf S.1389 wird auch der sprichwörtliche Taxifahrer (in diesem Fall der gerade arbeitslose Putin) zitiert, der vom "Ende des historischen Russland unter dem Namen der Sowjetunion" spricht.

Zum Inhalt

Earl Grey, Palmerston (fragwürdige Kompromisse)
Gezo von Dahomey  stellte die Wirtschaft um, so dass andere Exportgüter als Sklaven verkauft werden konnten, doch intensivierte er gleichzeitig den Sklavenhandel auf 10 000 Sklaven pro Jahr und finanzierte damit eine "Streitmacht aus 3000 bis 6000 Kriegerinnen, [...]. Die Frauen wurden bereits mit acht Jahren zu Kriegerinnen ausgebildet und durften  weder heiraten noch Sex haben - außer mit dem König" (S.929)". (S.928-930)

Besonders kenntnisreich ist Montefiore in der Geschichte Russlands und der Sowjetunion, das zeigt sich u.a. in seiner Darstellung der Herrschaft Jelzins (S.1380ff.), die hier als Beispiel herangezogen, aber wegen des Copyrights durch die Version der englischen Wikipedia in Maschinenübersetzung angedeutet wird: 
"Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 1996 wie auch 1993 hatte Jelzin laut Korzhakov nicht die Absicht, den Kreml zu verlassen, und war bereit, alles zu tun, um seinen Verbleib zu sichern. Jelzin fühlte sich frei, seine Verachtung für demokratische Prinzipien in der Gegenwart von Korzhakov zum Ausdruck zu bringen. Einige Episoden, von denen der Autor berichtet, erinnern fast an die Nixon-Jahre und die veröffentlichten Watergate-Bänder. Korschakow zufolge erörterten Jelzin und sein Premierminister Viktor Tschernomyrdin im Sommer 1996 die sehr ernste Möglichkeit, die Präsidentschaftswahlen abzusagen. Korzhakov fügt mehrere wichtige Details hinzu, die möglicherweise die Ansicht bestätigen, dass der Kreml während des Präsidentschaftswahlkampfes 1996 gegen viele demokratische Regeln verstoßen hat. Er erklärt auch ausführlich die Geschichte, wie die Leute von Anatoli Tschubais versuchten, dem Kreml illegal 500 000 Dollar abzunehmen.

Demokratische Institutionen wie das Parlament und die Gerichte spielten im Leben des Kremls eine äußerst begrenzte Rolle und hatten keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Stattdessen erweist sich Jelzins Familie laut Korzhakov als führende politische Institution in Russland. Korschakow kommt zu dem Schluss, dass Jelzin bei seinen Entscheidungen nicht von den Interessen des Staates, sondern von seinem eigenen Familienclan geleitet wurde.

Alexander Litwinenko - ein ehemaliger KGB/FSB-Offizier, der Anfang/Mitte der 2000er Jahre die Seiten wechselte - gibt in seinem Buch "Blowing Up Russia" Korschakow (zusammen mit Barsukow) die Schuld: nur "ihre Geldgier" sei der Grund für den ersten und teilweise auch für den zweiten Tschetschenienkrieg gewesen.

Die Leute um Jelzin
Korzhakov behauptet, dass der Kreml von verschiedenen unkonventionellen Führern wie Leibwächtern wie Korzhakov selbst geleitet wurde. In dem Buch gesteht Korzhakov, dass er und der FSB-Chef Mikhail Barsukov, ein weiteres Mitglied von Jelzins Garde, "das Land drei Jahre lang regiert haben".

Korzhakov zeichnet ein interessantes Porträt der Menschen im Umfeld Jelzins, von denen nur wenige als moralisch und intellektuell höherstehend dargestellt werden als der Autor. Korzhakov beschreibt die Atmosphäre im Umfeld Jelzins als von ungezügelter Vetternwirtschaft geprägt, ein fruchtbarer Boden für Intrigen zwischen denjenigen, die um das Ohr des Präsidenten kämpfen.

Sogar der Gedanke an Mord schwebt in den späten 1990er Jahren über dem Kreml. Die Aufforderungen und Versprechungen von Kremlmitgliedern, ihre politischen Rivalen zu ermorden, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Im Jahr 1999 wiederholte Korschakow die Behauptung, der Finanzmogul Boris Beresowski habe versucht, ihn zur Ermordung des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow, des Finanzmagnaten und NTV-Gründers Wladimir Gusinski sowie des Schlagersängers und Duma-Abgeordneten Iosif Kobzon, eines Verbündeten Luschkows, zu überreden." (Wikipedia)

Montefiore betont freilich im Unterschied zu Korzhakov auch die Rolle von Jelzins Tochter Tatjana (S.1383). 

Dazu die deutsche Wikipedia über die Sieben-Bankiers-Bande:
"Trotz interner Spaltungen hatten sie sich informell zusammengeschlossen, um Boris Jelzin bei der Präsidentschaftswahl in Russland 1996 mit Hilfe von Finanzierungen über Jelzins Tochter Tatjana die Wiederwahl als Präsident Russlands zu sichern.[1][2] Beim zweiten Wahlgang am 3. Juli 1996 erhielt Jelzin 53,8 % der Stimmen.[3] Im Zuge der Entwicklungen in der Geschichte Russlands kurz vor der Jahrtausendwende (z. B. Rubelkrise ab 1998, Aufstieg Putins) verloren die meisten der 1996 noch führenden Bankiers zunehmend ihre Bedeutung."

Ohne dass man annehmen muss, dass M.s Darstellung immer historisch korrekt ist, zeigt dieses Beispiel wie z.B. auch das der syrischen und koreanischen Diktatoren, dass auch aktuell Verwandtschaft eine wichtige Rolle für die Verteilung und Erhaltung politischer Macht spielen kann. (S.1384-88)

Samstag, 2. Dezember 2023

Zeitgeschichte nach 1945

 "[...] die häufige Wahl Europas als räumlicher Referenzpunkt [scheint] in der Regel eher eine pragmatische Entscheidung angesichts der vorhandenen wissenschaftlichen Expertise denn eine konzeptionelle Entscheidung darzustellen. Und doch erscheint diese Selbstbeschränkung angesichts des sich nach 1945 bahnbrechenden neuen Globalisierungsschubes gerade für die Zeitgeschichte unbefriedigend. Nicht nur bleibt der politische und ökonomische Bedeutungsgewinn nicht-europäischer Regionen seit 1945 unberücksichtigt, sondern eine pragmatische Europazentrierung erschwert auch eine kritische Reflexion in der Öffentlichkeit zirkulierender und häufig essentialistischer Konzepte von Europa.

Wie erhellend eine Einbeziehung der außereuropäischen Geschichte für die Zeitgeschichte sein kann, belegte unter anderem eine ausgezeichnete Sektion zu „Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft“, in der anhand der Beispiele Spanien, Guatemala, Südafrika und Australien verschiedene Modelle politischer und geschichtskultureller Aufarbeitung von Bürgerkriegen bzw. (kolonialer) Gewalt verglichen wurden. Die Vorträge zeichneten sich dadurch aus, dass sie Politik und Debatten gesellschaftlicher Befriedung und Versöhnung in den weiteren Kontext von Projekten der Nationsbildung stellten, an denen auch die Geschichtswissenschaften prominent beteiligt waren und sind. Auch wenn die Fallbeispiele im Einzelnen große Unterschiede aufwiesen, war es ein besonderes Verdienst der Sektion, die Kontinente übergreifenden Gemeinsamkeiten der Problemstellungen herauszustellen. Für den deutschen Betrachter warfen die Beiträge zugleich neues Licht auf Besonderheiten der doppelten deutschen Vergangenheitsaufarbeitung nach 1945 und 1989, etwa die Dominanz rechtlicher Fragen wie der Vermögensrestitution und Entschädigung in der Debatte der frühen Bundesrepublik. Es war fast bedauerlich, dass zwei Tage die hier geführte Diskussion von einer Sektion zur Wiedergutmachung in Deutschland und Israel trennten, die durch die Konzentration auf die Praxis der Wiedergutmachung in der Bundesrepublik und in Israel das Ringen um Wiedergutmachung in einen breiteren gesellschaftlichen und bilateralen Kontext stellte. Offen blieb, ob der 11. September 2001 eine Zäsur in den neueren internationalen Debatten um Vergangenheitspolitik und -aufarbeitung bedeutete, die ihren Ausgangspunkt in den Nürnberger Prozessen hatten. Zumindest in den USA sind die von der Clinton-Administration noch massiv geförderten Forschungen zur transitional justice nach den Terroranschlägen schlagartig in den Hintergrund getreten. [...]" (S.53/54)

Till Köstler: Zeitgeschichte nach 1945 (Bericht vom Historikertag 2006)

Fluchtpunkt Empires. Wahrnehmung und Erfahrung

Ulrike von Hirschhausen ,   Jörn Leonhard :  Empires .  Eine globale Geschichte 1780-1920 Perlentaucher https://westeuropa.geschichte.uni-fr...