Mittwoch, 12. November 2025

Ralf Georg Reuth: Goebbels

Ralf Georg Reuth: Joseph Goebbels

Minderwertigkeitskomplexe und abgrundtiefer Hass

Über Ralf Georg Reuths Goebbels-Biografie Von Uwe Ullrich (Literaturkritik 3.3.2013)

 Die Aussagen über Goebbels reichten vor dieser Biographie von „Dämon der Diktatur“ (Werner Stephan) zu  rationaler Propaganda-Macher (Viktor Reimann). 

"[...] Reuth erkennt in seinem 1990 erstmals erschienen Buch Goebbels’ „eitle Selbstbespieglung und autosuggestive Lügenhaftigkeit“ im erst zum Teil erschlossenen schriftlichen Nachlass und ist der grundlegenden Überzeugung, dass der Antisemitismus seines Protagonisten nicht allein mit Opportunismus erklärbar sei und dessen Rolle während der Stennes-Revolte, den Strasser-Krisen, dem „Röhm-Putsch“ und den letzten Tagen im Bunker der Reichskanzlei sich objektiv anders darstellen als sie der Tagebuchschreiber der Nachwelt hinterlassen wollte.

Zwei Dezennien später legt Reuth eine vollkommen überarbeitete Neufassung der Biografie vor. Geblieben sind die Struktur mit ihren Kapitelüberschriften und die Gesamtseitenzahl. Was sich offensichtlich änderte, sind der Umfang der einzelnen Abschnitte, der komprimierte Anmerkungsapparat sowie die stark veränderten Quellen- und Personenverzeichnisse. Auf der Grundlage der seit 2008 vorliegenden, jedoch nicht kommentierten Tagebuchgesamtausgabe von Goebbels, den inzwischen zusammengeführten Aktenbeständen im Bundesarchiv, vielen Schriften und Zeitungsaufsätzen sowie die erstmals in diesem Zusammenhang systematisch durchgesehenen zahlreichen Gerichtsverfahren. Die über einen langen Zeitraum verschollen geglaubten politischen Aufzeichnungen Horst Wessels konnte der Autor in der Jagiellonen-Bibliothek im polnischen Krakau für die Neufassung einsehen. Dem allgemeinen Schema biografischer Literatur entsprechend, ist die Ausführung chronologisch angelegt.

[Diese Ausgabe liegt mir nicht vor, ich zitiere aus der Ausgabe von 1990.]

Kritisch interpretiert Ralf Georg Reuth die kürzlich erschienene Goebbels- Biografie des Londoner Sozialhistorikers Peter Longerich, weil dieser mehr deute – eine unzureichende quellenkritische Distanz zu den Tagebüchern gehe damit einher – als sich mit seinem Gegenstand auseinandersetze. Entstanden sei eine Mischung aus Lebensweg, allgemeiner Geschichte des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung der Propaganda. Außerdem verzichte er, Reuth, bewusst auf „die in der Zeitgeschichtsschreibung inzwischen gängigen moralischen Wertungen“

Mit dem körperlichen Gebrechen und seinem bisherigen Leben hadernd, zog sich Goebbels nach erfolgter germanistischer Promotion (1921) und vergeblichen Anstrengungen um gutes beruflichem Fortkommen ins elterliche Haus zurück. Auf der Suche nach einer Persönlichkeit, welche ihm und der „gedemütigten“ Nation den Weg weisen könnte, wurde er mit Adolf Hitler fündig. Im Tagebuch vom 13. März 1924 notierte er, dass er sich mit ihm und der nationalsozialistischen Bewegung beschäftige, weil sie sich „mit allen schwierigen Problemen des Abendlandes“ auseinandersetze. Einen ersten Schritt in die politische Neuausrichtung, zu dem Zeitpunkt war der junge Mann sozialistischen Ideen gegenüber nicht abgeneigt, unternahm Goebbels, indem er ein halbes Jahr später am Gründungskongress der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Großdeutschlands, einer Nachfolgeorganisation der verbotenen NSDAP, teilnahm.

Kurz darauf war er Mitbegründer der Ortsgruppe der Partei, profilierte sich als Redner und wurde journalistisch tätig. Goebbels programmatische Parteivorstellungen wichen zum Teil erheblich von Hitlers ab, der es aber stets verstand, ihn für seine Zwecke und Interessen, auch gegen dessen zeitweiligen Mentor Gregor Strasser, zu instrumentalisieren. Der „Führer“ ernannte als Vertrauensbeweis seinen Gewährsmann Joseph Goebbels Ende Oktober 1926 zum Gauleiter des desolaten, zerstrittenen und einflusslosen, aber wichtigen Landesverbandes Berlin-Brandenburg.

Als der neu ernannte Funktionär in der Reichhauptstadt aus dem provinziellen Elberfeld eintraf, begab er sich in eine dynamische agierende, verlockend glänzende Großstadt, in der trotz wirtschaftlichem Aufschwungs soziale Gegensätze aufeinanderprallten: prahlerischer Reichtum und bittere Armut. Wie er hier erfolgreich wirken könne, erkannte der Gauleiter schnell und bekundet es in seinem Buch „Kampf um Berlin“ (München 1934) kurzweg: „Berlin braucht seine Sensation wie der Fisch das Wasser. Diese Stadt lebt davon, und jede politische Propaganda wird ihr Ziel verfehlen, die das nicht erkannt hat“. Dabei setzte er neben Kundgebungen auf gewaltsame Auseinandersetzungen mit ideologischen Feinden, SPD und KPD und deren Formationen, sowie persönliche Beleidigungen Verwaltungsbeamter der Landes- und Reichshauptstadt. Beredt legen eine Fülle von Prozessakten vom Auftreten Zeugnis ab. Seine Kontroverse fand oft im jüdischen Vizepräsidenten der Berliner Polizei, Bernhard Weiß, ihr Ziel. Als Leiter der politischen Polizei veranlasste Weiß ein Parteiverbot der NSDAP. Seitdem verhöhnte ihn Goebbels mit dem Spitznamen „Isidor“ in Reden und Schriften. Und das, obwohl er vor seinem Wechsel nach Berlin kein „Radauantisemit“ sein wollte, bezeichnete der Gauleiter Juden als „Volksfeinde“ und „Bazillen“, die ihr „Gastrecht“ nutzen, um das deutsche Volk mit Betrug und Korruption auszubeuten. Mit dem Verlassen der der Heimat verlor der Propagandist die vorhandenen Rudimente „(klein-)bürgerlicher“ Anständigkeit schnell.

Durch seine „Erfolge“ um Einfluss in Berlin wurde er im April 1930 Reichspropagandaleiter. Damit war Joseph Goebbels für die politische Ausrichtung in der Partei, ihre Wahlkämpfe und Großveranstaltungen, zuständig. Die Presse war ihm versagt, denn hier dominierte sein lebenslanger Rivale um Einflussnahmen, denn Alfred Rosenberg bleibt Schriftleiter des „Völkischen Beobachters“ und stieg 1934 sogar als installiertes Konkurrenzunternehmen zum Reichminister für Volksaufklärung und Propaganda zum „Beauftragten des Führers für die weltanschauliche Überwachung der NSDAP“ auf. Beider Kampf um die Deutungshoheit in der Partei oder kulturellen Fragen füllt eigene Bände.

Nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 zu Ministerehren gelangt, schuf sich Goebbels sein eigenes politisches und kulturelles Imperium durch Gleichschaltung von Vereinen und Institutionen. Kurz nach der Amtsübernahme, schon am 24. April 1933, verlieh ihm seine Heimatstadt die Ehrenbürgerschaft. Im Festvortrag bescheinigte Schulleiter Harring dem besten Abiturienten des Jahrgangs 1917, dass dieser eine „Zierde dieser Schule“ und „Stolz dieser Stadt“ sei. Den Grund sah der Direktor darin, dass der „Herr Reichsminister“ einen Entwicklungsweg genommen habe, „den ich den wahrhaft humanistischen nennen möchte“. Den Dank der Ehrenbürgerschaft nahmen auf einer Großkundgebung die Einwohner der Stadt Reydt auf dem überfüllten „Adolf- Hitler-Platz“ entgegen.

Privat hatte Joseph Goebbels vor seiner Ehe mit Magda, geschiedene Quandt, einige flüchtige, zum Teil auch feste Liebschaften. An der Eheschließung im Dezember 1931 nahm Hitler als Trauzeuge teil. Nachdem Goebbels Minister geworden war, leistete sich das Ehepaar einen üppigen Lebensstil. Der von Speer umgebauten Dienstwohnung folgten ein Seegrundstück auf der Insel Schwanenwerder und später ein Landhaus. Sechs Kinder wurden während der Ehe geboren. Auf Amouren ließen sich beide Partner ein.

Mit Kriegsbeginn installierte Reichsminister Goebbels zur wirksamen täglichen Steuerung der Medien Konferenzen im Propagandaministerium: „Ministerkonferenz“, an der die Leiter der politischen Abteilungen des Hauses, Vertreter anderer Dienst[st]ellen und der Wehrmacht teilnahmen. Anschließend folgte die „Tagesparolen-Konferenz“, die Reichspressechef Otto Dietrich leitete und schließlich die Reichspressekonferenz, in der die Berliner Vertreter der Inlandspresse mit Themen und Interpretationen vertraut gemacht wurden. Die Provinzpresse erhielt die Weisungen über „Presse-Rundschreiben“ oder als „Vertrauliche Informationen“.

Um die Intelligenz im In- und Ausland zu erreichen, gab Goebbels die Wochenzeitung „Das Reich“ heraus. Erfolgreich erwies sich sein Ansinnen, denn bis 1944 stieg die Auflage auf 1,4 Millionen Exemplare. Mit allen genannten und ungenannten Mitteln erreichte der umtriebige Reichspropagandaminister die Menschen und spornte sie mit der Parole über den „totalen Krieg“ zu übermenschlichen Leistungen an. Die Schlacht um Berlin begann am Morgen des 16. April 1945. Zweieinhalb Millionen Soldaten der „Roten Armee“, 41.600 Geschütze, 6.250 Panzer und 7.560 Flugzeuge traten nach mehrstündigem Artilleriebeschuss aus ihren Ausgangsstellungen zum Angriff auf die Reichshauptstadt an. Dagegen „bereitenden sich Jugendliche, Greise, Frauen des Volkssturms – die kampffähigsten Verbände hatte Goebbels an die Front geschickt“ – auf die Verteidigung vor. Getrieben von Verzweiflung, Gehorsam und Angst. Es konnte damit nicht die militärische Niederlage, die bedingungslose Kapitulation im Mai 1945 verhindert werden. Diesen Zeitpunkt erlebten Joseph und Magda Goebbels nicht mehr. Ihnen schien das Leben nach dem Selbstmord Hitlers nichts mehr wert. Selbst die Existenz ihrer Kinder löschten sie aus.

Ralf Georg Reuth legt mit der umfangreichen Neubearbeitung seiner Goebbels- Biographie eine lesens- und beachtenswerte Mischung aus Persönlichem und Politischen des Menschen, Politikers, Propagandisten und Intriganten vor. Wie er ihn charakterisierte, beschrieb er ihn: „In seiner Person verbanden sich ein sozial motivierter und aus Minderwertigkeitskomplexen gespeister abgrundtiefer Hass, ein aus katholischer Herkunft resultierendes unbeirrbares Glaubensbedürfnis und eine beachtliche intellektuelle Schärfe und wohl einer einzigartigen Waffe im Dienste der Massenbeeinflussung“.

In den letzten Jahren habe ich mitbekommen, dass Goebbels Tagebücher eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Quelle aus dem Inneren der NSDAP ist, hatte aber nicht realisiert, dass es dabei um 7000 Seiten handschriftlichen und um 30 000 Seiten diktierten Text geht. Angesicht des Umfangs dieser Quelle und des astronomischen Preises selbst der gekürzten Ausgabe von 4 bzw. 5 Bänden habe ich mich entschlossen, den Zugang zu dieser Quelle über die Goebbelsbiographie Ralf Georg Reuths, des Herausgebers dieser gekürzten Tagebuchfassung zu suchen. Ich werde daher in meinen Auszügen aus dem Buch vornehmlich die Person Goebbels und ihre Selbstdarstellung zu berücksichtigen suchen. 

"Am 11. Februar 1927 humpelte der 'braune' Gauleiter im 'roten Wedding' zum Redner-Podest, über den 'Zusammenbruch des bürgerlichen Klassenstaates' zu sprechen. Noch bevor er überhaupt das Wort ergreifen konnte, brach in dem Saalbau, wo sich viele Kommunisten eingefunden hatten, eine wilde Schlacht aus, während der beide Parteien mit Schlagringen und Eisenstangen aufeinander losgingen, Bevor die zahlenmäßig unterlegenen Kommunisten von der inzwischen aufgezogenen Polizei geschützt, das Feld räumten. Das Spektakel war perfekt. Die bürgerlichen, von Göbbels als 'Judenpresse'  verunglimpften Zeitungen berichteten in großer Aufmachung. Erstmals waren die Nationalsozialisten und ihr Gauleiter in aller Munde – freilich nur für einen Tag, ehe die kurzatmige Großstadt für neue Schlagzeilen sorgte." (Seite 116). 

Im Juni 1928 berichtet Goebbels von seinen innerparteilichen Auseinandersetzungen mit den Brüdern Strasser im Zusammenhang mit dem für die NSDAP etwas enttäuschenden Ausgang der Reichstagswahl. 

"Otto stellte fest, dass die Proletarier zu de Kommunisten, den eigentlichen Siegern, gegangen seien. Auch er spielte auf Goebbels an, ohne freilich seinen Artikel dessen Namen zu nennen, sondern von 'tausendmal gescheiten Köpfen' redete.

Solche Attacken steigert Goebbels' Hass ins Grenzenlose. Otto Strasser, der 'Satan', der Bewegung, müsse 'vernichtet' werden, 'koste es, was es wolle', notierte er in seinen Tagebuch, schränkte dann aber so gleich wieder ein, daß man gegen Strasser nicht ankomme. 'Der Schweinehund ist zu gerissen und zu gemein.' Als er zudem erfahren haben wollte, dass Besprechungen stattgefunden hätten, zwischen Otto Strasser, Reventlow und Kaufmann, 'zwecks Gründung einer neuen Partei', in der die sozialistische Linie schärfer betont werden soll', empörte es sich über seinen Widersacher, dem er ja eigentlich politisch näherstand. Es gehe gegen Hitler. 'Die Herren wollen selbst Herr sein. Ich werde auf der Lauer stehen. Ich bin bei Hitler, komme was kommen mag. Und wenn er mich selber ins Gesicht schlägt.'
Nachdem 'sein Chef 'nicht einschritt, obwohl er diesem seine Erkenntnisse mitgeteilt hatte, kokettiert Göbbels mit dem Gedanken, seine 'Demission' einzureichen, weil er den 'Kram leid' habe in Berlin. Er änderte seine Meinung, als Hitler am 14. Juli 1928 – am selben Tag ließ der Reichstag zur Genugtuung des Berliner Gauleiters eine Amnestie für alle vor dem 1. Januar 1928 verübten politischen Straftaten – nach Berlin kam und in einer 'langen persönlichen Aussprache' mit den Strassers die Wogen glättete. Goebbels gegenüber behauptete er, 'scharf gegen Dr. Strasser' vorgegangen zu sein, so dass dieser glaubte, der Kampf-Verlag, der Quell des Strasserschen Einflusses in der norddeutschen Partei, werde nunmehr alsbald 'liquidiert.' Als der geschickt taktierende Hitler sich zudem voll des Lobes für Goebbels' Arbeit zeigte, war bei diesem von einem 'Abdanken' keine Rede mehr: 'Ich bleibe. Der Chef ist hundertprozentig auf meiner Seite.' " (S. 140) 

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