Freitag, 3. Januar 2025

Arbeitstiere, Zug- und Haustiere

Dass Tier und Mensch bis weit in die Moderne auch in Deutschland eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft waren, habe ich noch selbst erlebt, doch ist es weithin vergessen. Auch mir selbst ist es so gegangen. 

Human-Animal Studies (Wikipedia)

Zugtier (Wikipedia) 

Arbeitstier (Wikipedia)

Literatur:

Das »Nachpferdezeitalter« – Ende oder Beginn einer Symbiose?

Reinhart Kosselleck: Der Aufbruch in die Moderne oder das Ende des Pferdezeitalters

Hans-Ulrich Schiedt: Auf den Spuren der Arbeitstiere. Eine gemeinsame Geschichte vom ausgehenden 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Chronos Verlag, 2024,

Hans-Ulrich Schiedt interviewt von Peter Riesbeck

"Rinder boten erstens in der ersten Agrarrevolution die Möglichkeit, sich aus der Abhängigkeit der einer obrigkeitlichen Herrschaft zu emanzipieren, etwa bei Gespannen. Zweitens lieferten diese Tiere ein großes Reservoir an unerreicht billigen, nebengewerblich erbrachten Transportdienstleistungen. [...]

In absoluten Zahlen hatte es am meisten Pferde und arbeitende Rinder in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs – also fast 100 Jahre nach dem Eisenbahnbau und mehr als 50 Jahre nach dem Aufkommen der ersten Automobile. Bezogen auf die Fläche waren es die Städte, welche die größte Arbeitstierdichte aufwiesen. In diesen sank deren Bedeutung nach dem Ersten Weltkrieg. Ins Auge fällt auch die regional sehr unterschiedliche Verteilung der verschiedenen Arbeitstiere. So gab es Regionen mit eigentlichen Pferde- oder Rinderkulturen, während im Wallis eine eigentliche Maultierkultur gelebt wurde. [...]

In den Quellen sind die Gesellschaftsschichten, in denen die Hunde als Arbeitstiere gehalten wurden, oft mit einer Aufzählung umrissen: die bäuerliche Bevölkerung, die kleineren Produzenten und Händler – Metzger, Bäcker, Gärtner, Krämer, Milch-, Butter- und Käselieferanten oder Hausierer. Zughunde bilden gleichsam eine Sonde, die kleine, sozial mehr oder weniger prekäre Existenzen sichtbar macht."

Peter Riesbeck: Im Buch erwähnen Sie den französischen Historiker Éric Baratay, der für das 19. Jahrhundert festhält: „Das Tier wird als Sub-Proletarier behandelt, auf dem das Wirtschaftswachstum aufbaut.“ Was meint er damit?

Schiedt: Baratay ist einer der wichtigsten Historiker, der Mensch-Tier-Verhältnisse ins Zentrum seiner Studien rückt. Mit seinem Verweis, die Arbeitstiere seien gleichsam ein Subproletariat, bezieht er sich auf die große Bedeutung der Arbeitstiere in den seit dem 18. Jahrhundert ansetzenden wirtschaftlichen Wachstumsprozessen etwa der Agrarmodernisierung, des Städtewachstums und namentlich auch für die Industrialisierung, in deren Zusammenhang der Begriff des Proletariats erst eine Verbreitung fand. Gleichzeitig verortet er mit diesem Begriff die arbeitenden Tiere als sozialgeschichtliche Akteure und als sozial relevante Schicht unserer Arbeitswelt.

Ihre Studien zeigen, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Tier früher viel enger und in mancher Hinsicht kenntnisreicher war…

Die Quellen sind voller Belege, dass die Menschen, die in früheren Zeiten mit den Tieren arbeiteten, sich sehr wohl ebenfalls der Subjektivität ihrer Tiere bewusst waren und in einem eigentlichen partnerschaftlichen Verhältnis mit ihnen lebten und arbeiteten. Die Erfahrung ist zahlreich überliefert, dass nur wer sich des individuellen und artspezifischen Eigensinns und des Eigenwillens der Tiere bewusst war, zusammen mit den Tieren gute Arbeit leisten konnte. Allerdings wurde diese Erfahrung dann doch zuweilen so normativ abgefasst, dass, wenn wir auf die ebenfalls überlieferten Misshandlungen blicken, zwischen den Zeilen klar wird, dass auch oft gegen dieses Gebot verstoßen wurde.

Im Nachlass einer im Zweiten Weltkrieg aus Ostpreußen vertriebenen Familie, die in Holstein gelandet war, fand sich mit der monatlichen Postanweisung für die Pacht der Hinweis des Pferdeknechts, der mit dem Tier in Köln gestrandet war, an die einstigen Besitzer: „Dem Tier geht es gut.“ Würden Sie so weit gehen zu sagen: Arbeitstiere gehörten zur Familie?

Ich könnte etliche Quellen vorlegen, in denen die Arbeitstiere als eigentliche Familienmitglieder erscheinen. Der Forscher Georg Schmidt bemerkte zu bäuerlichen Familienwirtschaften des ausgehenden 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Sie pflegten und schmückten das Vieh oft sorgfältiger als die leiblichen Kinder, die noch keinen Anteil am mühsamen Tagewerk hatten. Sie passten ihm ihren eigenen Arbeitsrhythmus an und konnten sich nur schwer von ihm trennen.“

War das Arbeitstier früher also mehr Haus- als Nutztier?

Tatsächlich ist das Arbeitstier in der eingangs unternommenen Präzisierung beides: Mit der Haltung eines Arbeitstiers waren immer auch weitere Nutzungen verbunden, so etwa die Nachzucht, bei Rindern beispielsweise die Milch- und Fleischnutzung, bis hin zur Verwendung der Haut als Leder und der Knochen als Grundstoffe für Leim und Seife. Die Menschen, die mit den Tieren arbeiteten, waren sich dieser Ambivalenz durchaus noch bewusst. Die Tierarbeit beruhte auf einer mensch-tierlichen Zusammenarbeit, die die weitere Verwertung und Nutzung der Tiere nach ihrem Tod miteinschloss.

Nach all der intensiven Befassung: Haben Sie ein Lieblings-Arbeitstier?

Persönlich am nächsten kamen mir vielleicht die Arbeitshunde und die Maultiere, weil in diesen so viele unterschiedliche Facetten der Existenzen greifbar werden, in denen sie gehalten wurden.

Ochs und Esel bilden in der biblischen Erzählung den tierischen Rahmen der Weihnachtsgeschichte. Wofür stehen die Tiere?

In meiner persönlichen Sozialisierung in der Sonntagsschule gehörten Ochs und Esel einfach zur heiligen Familie. In der gedrechselteren christlichen Ikonografik stand der Ochs etwa für das Volk Israel und der Esel für die Heiden.

Und die Schafe?

Sie sind mit ihren Hirten Zeugen des heiligen Moments und die ersten gläubigen Christen. Das sind nicht nur metaphorische oder allegorische Zuschreibungen. Im Stall kommt die Tier- und Menschwelt zusammen; im Stall brechen die Grenzen zwischen Natur und Kultur auf."

https://www.shz.de/deutschland-welt/SH_am_Wochenende/artikel/vergessene-helfer-arbeitstiere-praegten-die-geschichte-48111588  14.12.2024


vgl. auch:

Peter Riesbeck: "Im Stall finden Tier und Mensch zusammen" FR 4./5.1.25:

Riesbeck: Die Schweiz hat ab 1866 Arbeitstier statistisch erfasst. Wann war der Höhepunkt der Arbeitstiere?

Schiedt: In absoluten Zahlen hatte es am meisten Pferde und arbeitende Rinder in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs – also fast 100 Jahre nach dem Eisenbahnbau und mehr als 50 Jahre nach dem Aufkommen der ersten Automobile. Bezogen auf die Fläche waren es die Städte, welche die größte Arbeitstierdichte aufwiesen. In diesen sank deren Bedeutung nach dem Ersten Weltkrieg. Ins Auge fällt auch die regional sehr unterschiedliche Verteilung der verschiedenen Arbeitstiere. So gab es Regionen mit eigentlichen Pferde- oder Rinderkulturen, während im Wallis eine eigentliche Maultierkultur gelebt wurde. 

Peter Riesbeck: Vom Stall in die Stube Die Rheinpfalz 30.11.24


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