Montag, 3. November 2025

Gleichheit und Ungleichheit

 Erst jetzt, wo wir erkennen, dass die Gesellschaft der gleichberechtigten Staatsbürgerbürger (Zum Selbstverständnis gleichberechtigter Bürger) erst möglich wurde, als über es die Nutzung fossiler Energien möglich war, körperliche Schwerarbeit in großem Stile Maschinen zu übergeben (Industrielle Revolution), legt es sich nahe, über Gleichheit und Ungleichheit anders als in Kategorien des Klassenkampfes zu denken.

Es war die Ausbeutung fossiler Energien, die es möglich machte, die Ausbeutung der Massen zu reduzieren und die ökonomische Grundlage für Massenwohlstand und Massendemokratie zu legen. (und die natürliche Folge: der Klimawandel)

Landwirtschaft setzte in vielen Regionen der Welt eine gewaltige Plackerei der Vielen voraus, die die wirtschaftliche Grundlage für die Bevölkerungsexplosion schafften. Ob es vom Staat ausgebeutete Fellachen waren, die die Pyramiden erbauten, oder Sklaven, die das Königreich Benin so reich machte, dass Tausende von Bronzen die Geschichte eines Landes haltbar dokumentierten, große Kulturleistungen setzten große Ungleichheit (z.B. Kasten) voraus.

Der Kolonialismus mit dem Fernhandel, der mit Massengütern operierte, ermöglichte erst den Welthandel mit Menschen, der es möglich machte, die Massenware Mensch in großem Stil von Kontinent zu Kontinent zu transportieren.

Auf der Grundlage dieser Gedanken möchte ich Unfreiheit und Freiheit möglichst unideologisch betrachten.

Sklaven gab es schon früh als Ergebnis von Kriegen, wo es darum ging, Gefangene für die eigene Gesellschaft wirtschaftlich nutzbar zu machen. Die unterschiedliche Entwicklung Chinas, wo die arbeitende Bevölkerung trotz periodischer Bauernaufstände im Lande zu halten und einem großen Reich, später Staatswesen dienstbar zu halten, und Indiens, wo das Kastenwesen eine innere Apartheid aufrecht erhielt, unterscheidet sich da enorm von Afrika, dass einen gewaltigen Aderlass an Bevölkerung erlebte, und Europa, das mit Hilfe von Sklavenhandel und Kolonien das Kapital sammeln konnte, die Industrialisierung voranzutreiben und so Sklaverei durch Maschinenarbeit zu ersetzen.

Die Entwicklung der beiden Amerikas lief unterschiedlich. Während in Lateinamerika mit Hilfe der Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung (die durch Sklavenarbeit und Krankheit dezimiert wurde) und herbeigeschaffter Afrikaner eine Gesellschaft von Großgrundbesitzern und einer Menge von Armen entstand, führte die Besiedlung Nordamerikas zur weitgehenden Enteignung der Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung und der Errichtung eines demokratischen Staatswesens von Einwanderern. Auch hier wurde die indigene Bevölkerung durch Afrikaner ergänzt, die großräumige Landwirtschaft rentabel machten.

Europa wurde es so ermöglicht, seinen Bevölkerungsüberschuss inklusive Abweichler nach Nordamerika auswandern zu lassen und dort eine weniger ungleiche Gesellschaft zu entwickeln, in der freilich die Sklavenhaltung im Süden das Gemeinwesen auseinanderzureißen drohte. Der Bürgerkrieg hat das dann verhindert. In Australien fand eine ähnliche Entwicklung wie in Nordamerika statt, nur dass die europäischen Siedler unfreiwillig in eine Strafkolonie umgesiedelt wurden und die Aborigines verdrängten.

In Afrika entwickelte sich die Sklaverei unterschiedlich. In den Anfängen (die freilich unzureichend schriftlich belegt sind) entstand die Schicht der Sklaven aus der Gruppe der Kriegsgefangenen der jeweiligen Streitigkeiten. Dann entwickelten die arabischen Staaten des Nordens ihre Art von großräumigeren Sklavenhandels (der bekanntlich auch eine nicht geringe Menge von Europäern einschloss, die aber relativ häufig freigekauft wurden oder auch fliehen konnten). Dieser Handel diente zur Versorgung der Reichen („Besserverdiener“) mit Hauspersonal und mit vorindustrieller Massenarbeit sowie mit Frauen zur Aufstockung des Harems und Militärsklaven (Mamluken, Janitscharen) zur Herrschaftssicherung.

Bemerkenswert ist dabei, dass die Kinder der Frauen (je mehr Frauen und Abkömmlinge, desto höher der gesellschaftliche Rang) der Besitzenden nicht Sklaven wurden, sondern in die Erbfolge einbezogen werden konnten. Die männlichen Sklaven, die sie bewachen sollten, wurden kastriert, was für viele tödlich endete. Kinder männlicher Sklaven wurden Sklaven.

Je nach Fähigkeiten wurden sie aber auch – wie in der Antike - als Dichter, Handwerker, Schriftsteller, Musiker und Handelsgehilfen eingesetzt und hatten dann prinzipiell auch die Möglichkeit, zu Geld zu kommen und sich freizukaufen.

Im transatlantischen Handel gab es zweimal so viele männliche wie weibliches Sklaven. Sie waren gefragter, weil sie aufgrund ihrer Körperkraft als landwirtschaftliche Arbeitskräfte produkti/ver waren, und wurden vor allem auf Plantagen in der Karibik sowie in Nord- und Südamerika eingesetzt.“ (Zeinab Badawi: Eine afrikanische Geschichte Afrikas, S.S.229f)


Sonntag, 2. November 2025

Sklaverei: erweiterte Definition

 Sklaverei ist ein soziales System der Unfreiheit und Ungleichheit, in dem Menschen als Eigentum anderer behandelt werden. Bei der Sklaverei im engen Sinne der Geschichtsschreibung war das Recht, Sklaven zu erwerben, zu verkaufen, zu mieten, zu vermieten, zu verschenken und zu vererben, gesetzlich verankert. Die Sklavengesetze regelten die privat- und strafrechtlichen Gesichtspunkte der Sklavenhaltung und des Sklavenhandels; darüber hinaus bestimmten sie auch, welche Rechte den Sklaven zugestanden wurden.

In vielen sklavenhaltenden Staatswesen und Gesellschaften behielten Sklaven eine gewisse Rechtsfähigkeit und konnten zum Beispiel die Gerichte anrufen oder Eigentum mit Einschränkungen erwirtschaften, das es ihnen in manchen Gesellschaften und Ländern erlaubte, durch Selbstkauf die Freiheit zu erlangen. In manchen Staatswesen war Sklaverei erblich, das heißt die Nachkommen von Sklaven waren ebenfalls unfrei.

Im weiteren Sinne zählen zur Sklaverei auch Freiheitsberaubung und Nötigung von Menschen ohne gesetzliche Grundlage, beziehungsweise als Verstoß gegen die geltenden Gesetze und die Menschenwürde sowie Ausbeutung illegal Aufhältiger. Die Grenzen zwischen Sklaverei und „sklavereiähnlichen“ Erscheinungen wie etwa Zwangsarbeit (in Industrie, Bergbau, Plantagen etc.) oder Zwangsprostitution sind fließend. (Wikipedia)

Ergänzende Stichworte: Geschichte der SklavereiSklaverei in der NeuzeitSklavenhandelostafrikanischer Sklavenhandel, mediterraner Sklavenhandel und  innerafrikanischer Sklavenhandel

"Der heilige Patrick musste in Irland nach seiner Entführung sechs Jahre Sklave sein. Die Sklavin (cumal) zählte in der inselkeltischen Rechtsprechung als Währungseinheit – ein cumal entsprach dem Wert von zehn Kühen.[7](Wikipedia)

Zu Sklaverei im jüdischen Raum: 3. Buch Mose 25:

"39 Wenn ein Bruder bei dir verarmt und sich dir verkauft, darfst du ihm keine Sklavenarbeit auferlegen; 40 er soll dir wie ein Lohnarbeiter oder ein Beisasse gelten und bei dir bis zum Jubeljahr arbeiten. 41 Dann soll er von dir frei weggehen, er und seine Kinder, und soll zu seiner Sippe, zum Besitz seiner Väter zurückkehren. 42 Denn sie sind meine Knechte; ich habe sie aus Ägypten herausgeführt; sie sollen nicht verkauft werden, wie ein Sklave verkauft wird. 43 Du sollst nicht mit Gewalt über ihn herrschen. Fürchte deinen Gott! 44 Die Sklaven und Sklavinnen, die euch gehören sollen, kauft von den Völkern, die rings um euch wohnen; von ihnen könnt ihr Sklaven und Sklavinnen erwerben. 45 Auch von den Kindern der Beisassen, die bei euch leben, aus ihren Sippen, die mit euch leben, von den Kindern, die sie in eurem Land gezeugt haben, könnt ihr Sklaven erwerben. Sie sollen euer Besitz sein 46 und ihr dürft sie euren Kindern nach euch vererben, damit diese sie als Besitz für immer haben; ihr sollt sie als Sklaven haben. Aber was eure Brüder, die Israeliten, angeht, so soll keiner über den andern mit Gewalt herrschen. 47 Wenn ein Fremder oder ein Beisasse bei dir zu Vermögen kommt, aber dein Bruder neben ihm verarmt und sich ihm oder einem Nachkommen aus der Familie eines Fremden verkauft, 48 dann soll es, wenn er sich verkauft hat, für ihn ein Loskaufrecht geben: Einer seiner Brüder soll ihn auslösen. 49 Auslösen sollen ihn sein Onkel, der Sohn seines Onkels oder sonst ein Verwandter aus seiner Sippe. Falls seine eigenen Mittel ausreichen, kann er sich selbst loskaufen. 50 Er soll mit dem, der ihn gekauft hat, die Jahre zwischen dem Verkaufs- und dem Jubeljahr berechnen; die Summe des Verkaufspreises soll auf die Zahl der Jahre verteilt werden, wobei die verbrachte Zeit wie die eines Lohnarbeiters gilt. 51 Wenn noch viele Jahre abzudienen sind, soll er die ihnen entsprechende Summe als seinen Lösepreis bezahlen. 52 Wenn nur noch wenige Jahre bis zum Jubeljahr übrig sind, soll er es ihm berechnen; den Jahren entsprechend soll er seinen Lösepreis bezahlen. 53 Er gelte wie ein Lohnarbeiter Jahr um Jahr bei seinem Herrn; dieser soll nicht vor deinen Augen mit Gewalt über ihn herrschen. 54 Wenn er in der Zwischenzeit nicht losgekauft wird, soll er im Jubeljahr freigelassen werden, er und seine Kinder. 55 Denn mir gehören die Israeliten als Knechte, meine Knechte sind sie; ich habe sie aus Ägypten herausgeführt, ich bin der HERR, euer Gott. 

Sklaverei - Sammlung von Textausschnitten als Arbeitsmaterial

 "[...] Sklaverei in islamisch geprägten Gesellschaften war zwar durch viel mehr Versklavte gekennzeichnet als im christlichen Europa und in der atlantischen Sklaverei, aber zugleich durchlässiger, da ein sozialer Aufstieg aus der Versklavung möglich war.[23] Dabei diente die Versklavung von kriegsgefangenen „Ungläubigen“ ihrer Zivilisierung im Sinne einer Konversion zum Islam.[24] Anders als in der atlantischen Sklaverei war der massierte Einsatz von Sklaven in Arbeitskollektiven wenig üblich. In der Landwirtschaft (Dattelpalmen, Gartenwirtschaft in den Oasen) und der nomadischen Viehzucht lebten die Sklaven in die Haus- oder Familiengemeinschaften der Sklavenhalter integriert. Eine Ausnahme waren die Zandsch, aus Ostafrika verschleppte Schwarze, die in der Zeit des Abbasidenreiches in den Salzsümpfen des heutigen Irak in großen Gruppen in Salinen, bei der Urbarmachung und auf Plantagen für die Zuckerherstellung arbeiteten.[25] Im Jahr 869 begannen sie einen Aufstand, der das Kalifat der Abbasiden an den Rand der Niederlage führte, aber niedergeworfen wurde.[26]

Eine bedeutsame Rolle in der Herrschaftspraxis einiger islamischer Staaten spielte der Einsatz von Militärsklaven, den Mamluken. Diese standen in ihrer Loyalität außerhalb familiärer und tribaler Beziehungen, konnten aber auch selbst nach der Macht greifen, wie das Beispiel der Ghaznawiden zeigte.[27]

Auch Turkvölker wie die Chasaren und germanische Völker wie die Waräger und die Wikinger trieben im europäischen und orientalischen Raum Handel mit Kriegsgefangenen und Sklaven. In Sachsen und im Ostfrankenreich entstand nach kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Slawen ein gut organisierter und sehr umfangreicher Handel mit slawischen Sklaven. Haupthandelszentrum war neben Prag auch Regensburg. Dort gab es gute Handelsbeziehungen mit Venedig und Verdun, von wo aus die Handelswege weiter nach Arabien und Spanien verliefen, wo nach der Ausbreitung des Islams eine große Nachfrage nach Sklaven bestand. Aber auch im Frankenreich herrschte bei Großgrundbesitzern Bedarf an unfreien Arbeitskräften.[28] Auch die westslawischen Fürsten konsolidierten mit dem Menschenhandel ihre Herrschaft. Um das Jahr 960 befand sich nach Angaben des jüdisch-arabischen Reisenden Ibrahim ibn Yaqub einer der bekanntesten Sklavenmärkte unterhalb der Hauptburg der přemyslidischen böhmischen Fürsten in Prag.[29]" (https://de.wikipedia.org/wiki/Sklaverei#Mittelalter)


"Die omanischen Araber betrieben über den Indischen Ozean, einen regen Handel mit versklavten Afrikanern. Dieser Handel unterschied sich in mehrfacher Hinsicht von der Besitzsklaverei der atlantischen Welt. Zunächst konnten fast versklavte Afrikaner auf vielfältige Weise eingesetzt werden: sie wurden als einfache Diener beschäftigt, da der Besitz von Hauspersonal, in der arabischen Kultur als Zeichen von Prestige galt; sie leisteten als Dichter, Handwerker, Schriftsteller, Musiker und Handelsgehilfen, einen wichtigen Beitrag im kulturellen Bereich; sie dienten als Matrosen oder Soldaten in der omanischen Armee; oder sie wurden als Perlentaucher im Golf eingesetzt (viele Taucher litten an geplatzten Trommelfell, sowie schweren Haut- und Atemwegserkrankungen). Obwohl manche Sklaven derartige Tätigkeiten ausübten, wurde die überwiegende Mehrheit allerdings in riesigen landwirtschaftlichen Projekten mit dem Dattelpalmenanbau und der Trockenlegung von Salzwiesen eingesetzt, wobei Letzteres eine besonders zermürbende und harte Arbeit war.

Im transatlantischen Handel wurden nur Afrikaner versklavt, die Araber hingegen erhielten Sklaven aus vielen Teilen der Welt, auch aus Europa, wenngleich die Afrikaner den größten Anteil bildeten. In allen wichtigen Städten der arabischen Länder gab es Märkte, die unter strenger, staatlicher Kontrolle betrieben wurden. Der Preis für einen versklavten Menschen richtete sich nach seinem Herkunftsort, seinem Geschlecht, seinem Alter, seiner körperlichen Verfassung und seinen Fähigkeiten.

Im transatlantischen Handel gab es zweimal so viele männliche wie weibliches Sklaven. Sie waren gefragter, weil sie aufgrund ihrer Körperkraft als landwirtschaftliche Arbeitskräfte produkti/ver waren, und wurden vor allem auf Plantagen in der Karibik sowie in Nord -und Südamerika eingesetzt. Im Gegensatz dazu wurden im Handel über den indischen Ozean wie im ostafrikanischen Handel die weiblichen Gefangenen mehr geschätzt, und man nimmt an, dass ihre Zahl, die der männlichen übertraf. Verschleppte afrikanische Frauen mussten als Sexsklavinnen arbeiten oder wurden in das Konkubinatssystem der Adligen aufgenommen. Daher war es nicht ungewöhnlich, dass arabische Prinzen und Kalifen afrikanisches Blut von ihrem Mutter erbten. Wenn ein arabischer Mann mit einer Sklavin Nachwuchs zeugte, wurde dieses Kind frei geboren, und in der Regel wurde auch die Mutter freigelassen, damit sie sich um ihr Kind kümmern konnte. Ein Kind, das ein weißer 'Meister' mit einer versklaven Afrikanerin zeugte, blieb in den Amerikas und der Karibik hingegen gewöhnlich ein versklavter Mensch.

 Afrikanischen Männern war es verboten, sexuelle Beziehungen zu arabische Frauen zu unterhalten. Außerdem wurde ein Teil der verkauften Männer von ihren arabischen Herren kastriert. /  Als Eunuchen hatten sie die Aufgabe, über die Konkubinen zu wachen. Die Kastration war ein grausamer und unmenschlicher Prozess: die meisten jungen Männer überlebten die Tortur nicht." (Zeinab Badawi: Eine afrikanische Geschichte Afrikas, S. 229-231)

Sklaverei im arabischen Raum (Wikipedia) - Kurzfassung von Gemini

Koranische Begründung und Fortbestand der Sklaverei im Islam

Die Sklaverei war in den später islamisierten Gebieten bereits vor dem Islam verbreitet (mit afrikanischen und europäischen Sklaven).


Koranische Grundlage und Regeln

  • Der Koran und die Sunna verbieten die Sklaverei nicht, obwohl der Koran die Freilassung von Sklaven mehrfach empfiehlt.

  • Der Prophet Mohammed war selbst Sklavenhalter und versklavte Menschen auf Kriegszügen.

  • Die Sklaverei unterlag Regeln, die den Rechtsstatus von Sklaven im Vergleich zur vorislamischen Zeit aufwerteten. Gläubige Sklaven waren vor Gott den freien Muslimen ebenbürtig.

  • Zulässig war primär die Versklavung von Ungläubigen.


Afrikanischer Sklavenhandel

  • Die arabische Eroberung Ägyptens (641) wurde entscheidend für den Aufschwung des Sklavenhandels.

  • Über Handelsrouten (Nil, Sahara, Timbuktu) wurden Millionen von Menschen, hauptsächlich aus der Subsahara (Nubien, Äthiopien, Westafrika), in den Norden verschleppt. Schätzungen gehen von 4-6 Millionen Sklaven zwischen 800 und 1900 aus.

  • Die dunkle Hautfarbe führte zur Stigmatisierung der Nachfahren.

  • Sansibar entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem Zentrum der Sklavenhaltung für den Nelkenanbau.


Einsatz und Status der Sklaven

  • Sklaven wurden meist in der Hauswirtschaft eingesetzt (häufig weiblich), als persönliche Bedienstete oder Haremswächter (oft kastrierte Eunuchen).

  • Weibliche Sklaven konnten als Konkubinen Kinder mit ihren Herren haben, was ihren Status verbesserte; fast alle späteren Kalifen waren Söhne von Sklavinnen. [Konkubinat im Islam "So waren fast alle späteren Kalifen Söhne von Sklavinnen. Selbst der Gründer der Dynastie der Saud, Abd al-Aziz ibn Saud, der Gründer des modernen Saudi-Arabiens, wusste deshalb nicht, wer die Mutter seiner Mutter war (nämlich eine unbekannte Sklavin)." - (Wikipedia)]

  • Militärsklaven (Mamluken, Janitscharen) genossen hohes Ansehen und konnten hohe politische und militärische Ämter erlangen, teilweise sogar Dynastien gründen (z. B. in Ägypten bis 1517).

  • Eine Ausnahme vom dezentralen Einsatz bildeten die Zandsch (Ostafrikaner), die im heutigen Irak in großen Gruppen auf Plantagen und in Salinen arbeiteten, was zum Aufstand der Zandsch (869) führte.


Europäer als Sklaven

  • Araber und Türken raubten jahrhundertelang christliche und jüdische Sklaven aus Europa, die verkauft oder gegen Lösegeld freigekauft wurden.

  • Die italienischen Seerepubliken (Genua, Venedig) waren ebenfalls am Handel mit europäischen Sklaven in den arabischen Raum beteiligt.

  • Die Barbareskenstaaten Nordafrikas (16.-18. Jahrhundert) entwickelten Sklaverei und Menschenhandel zu einem Wirtschaftszweig, wobei schätzungsweise 1,25 Millionen Europäer versklavt wurden (durch Kaperung und Küstenüberfälle).

  • An der Schwarzmeerküste (Krim) wurden im 16. und 17. Jahrhundert 1,5 bis 3 Millionen Ukrainer und ethnische Russen versklavt.


Fortbestand

  • Obwohl die Freilassung von Sklaven als heilbringend galt, verzögerten islamische Gebiete die gesetzliche Abschaffung am längsten; Mauretanien schaffte sie als letztes Land der Welt erst 1980 offiziell ab, wobei Sklaven dort weiterhin die unterste gesellschaftliche Schicht bilden.

  • ["Die Sklaverei in Mauretanien besteht trotz ihrer mehrmaligen offiziellen Abschaffung – zuletzt 2007 – weiter fort und betrifft die Nachfahren von vor Generationen versklavten und bis heute nicht freigelassenen Menschen, die ʿAbīd (sing. Abd). Diese sind überwiegend Schwarze[1], die der Bidhan (auch „weiße Mauren“), einer arabisch-berberischstämmigen Volksgruppe der Mauren als Sklaven dienen. Als „schwarze Mauren“ oder Haratin werden die ehemaligen, freigelassenen Sklaven bezeichnet, die nach groben Schätzungen 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

    Die Sklaverei wird von weiten Teilen der mauretanischen Bevölkerung als ein lediglich historischer Tatbestand betrachtet. Die Zahl der Sklaven im Land ist unbekannt, wird aber von Menschenrechtsgruppen auf die Größenordnung von Hunderttausenden geschätzt. Laut Kevin Bales ist der Anteil von Sklaven an der Gesamtbevölkerung der höchste der Welt." (Wikipedia)]

Dienstag, 28. Oktober 2025

Genozid. Völkermord in der Geschichte

 Norman M. NaimarkGenozid. Völkermord in der Geschichte, 2017 engl., 2018 dt.

Völkermorde in der Geschichte (Wikipedia)

NaimarkGenozid Inhalt 
Einleitung S.7 
Die Antike 15 
Kriegergenozid 26 darunter Mongolen Sturm.
Die spanische Eroberung 51
Siedlergenozid (Kolonialismus), 69
Moderne Genozide 92
Kommunistische Genozide 119
Antikommunistische Genozide 144
[1970-1995 Völkermord an den Ixil in GuatemalaS.144-152]
Genozide nach dem Kalten Krieg 169
Schluss 194 

Chronologie S.198:
1020-930 vor Christi Geb. Königreich Israel.
800 v.Chr. Aufstieg der griechischen Stadtstaaten.
431-404 v. Chr. Peloponnesischer Krieg.
149-146, v. Chr. dritter punischer Krieg zwischen Rom und Karthago.
 1095 Papst Urban ruft zum ersten Kreuzzug auf.
1206 Gründung des Mongolenreichs unter Dschinghis Khan
1208 Papst Innozenz ruft zum Albigenserkreuzzug auf.
1492 Christoph Kolumbus erreicht die neue Welt.
519-521 Eroberung Mexikos unter Hernán Cortés.
1524-1530 Francisco Pizarro zieht gegen die Inka zu Felde.
1824-1832, "Black War" gegen die Aborigines in Tasmanien
1856-1864 Vernichtung der Yuki im Round Valley (Mendocino County, Kalifornien)
1904-1907 Kriege gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika.
 24.4.1915 Tag des Völkermord an den Armeniern.
1932-1933 Hungersnot in der Ukraine (Holodomor),
1.9.1939 Hitlers Überfall auf Polen; Beginn der Ermordung von Juden und Polen.
20.1.1942. Auf der Wannseekonferenz wird die Endlösung der Judenfrage beschlossen.
Januar 1958 Mao setzt zum großen Sprung nach vor an.
30.9.1965 bei einem Putschversuch. In Indonesien kommt es zu einem Massaker an den Kommunisten?
12.4.1975 Phnom Penh fällt an die Roten Khmer; Beginn des Völkermords in Kambodscha.
7.12.1975. Das indonesische Militär marschiert in Osttimor ein.
[1970-1995 Völkermord an den Ixil S.144-152]
 6.4.1994 Beginn des Völkermords in Ruanda.
Juli 1995 Völkermord in Srebrenica
2003-2010 Darfur-Krise.
2009-2010 Präsident Omar al-Baschir wird vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord angeklagt. 

Kriegergenozide (S.26ff.)

Mongolensturm (ab 1206) Abschlachtung in großer Zahl, Schädelpyramiden vor den eroberten oder zerstörten Städten sollten den Widerstandsgeist der Angegriffenen brechen 

Mongolische Kriegführung

"[...] die häufigste Taktik war aber ein Angriff mit Fernwaffen, auf den ein Scheinrückzug folgte. Die Mongolen stellten sich in Formationen auf, die häufig 5 Mann tief waren, ritten dann auf 50 m bis 100 m an den Gegner heran und überschütteten ihn mit Pfeilen. Dabei zielten sie zuerst vor allem auf die Pferde der feindlichen Reiterei. Einem Angriff oder Gegenstoß des Feindes folgte dann der erwähnte Rückzug, wobei ein Teil der mongolischen Truppen um den Gegner zog und in dessen Flanken oder Rücken fiel. Dieses Manöver nannte man Tulughma. [vgl. auch: Erste Schlacht bei Panipat]

Die Mongolen ließen dem Gegner immer eine Fluchtmöglichkeit offen und schlossen ihn nie vollständig ein. Damit verhinderten sie, dass der Gegner mit dem Mut der Verzweiflung kämpfte. Jedoch wusste der Gegner nicht, dass fliehende Gegner im Nahkampf attackiert und extrem lang und zäh verfolgt wurden. Die Verfolgung geschlagener Gegner bis zum letzten Mann war ein Kernaspekt der mongolischen Kriegführung und zog sich häufig über mehrere Tage hinweg.

Da ihre Kriegführung in der Mobilität jedem Gegner überlegen war (gegliederte leichte Kavallerie), mussten sie nicht jeden Kampf gewinnen, konzentrierten sich jedoch auf den Angriff auf die Ressourcen der Feinde (Nahrung, Felder, Wasser usw.). Anders als die Mongolen waren die Städte bewohnenden Feinde an ihre Ressourcen gebunden. Die Städte wurden von der Nahrungsversorgung abgeschnitten und die Bauern zur Flucht in die Städte getrieben, so dass dort Seuchen ausbrachen. So verödeten die Städte, bevor man sie überhaupt angriff. Manche Ruinenstädte (in Afghanistan und an der Seidenstraße) sind bis heute verlassen." (Wikipedia)

Der Scheinrückzug erfolgte auch über etwas längere Zeiträume. Wenn die Geflohenen zurückkehrten, erfolgte ein erneuter Angriff. So konnte sichergestellt werden, dass man die Bevölkerung möglichst vollständig töten konnte. (Naimark, S.31/32)


Sonntag, 26. Oktober 2025

 Frank Trentmann widerspricht dem Rückblick von Bundeskanzler Friedrich Merz auf die Nachkriegszeit: 

"[...[ In der Nachkriegszeit, so der Kanzler, konnte es nur aufwärtsgehen. Die Politiker damals hatten es somit einfacher. Vor ihnen „lag ein weißes Blatt Papier“. Er dagegen befinde sich heute in einer gänzlich anderen Ausgangsposition. „Wir haben es in Teilen mit einer blockierten Republik zu tun.“ Mit Letzterem hat Merz recht. Aber seine historische Diagnose ist falsch und somit auch seine Schlussfolgerungen für die Gegenwart.

Zwar war das Ende des Zweiten Weltkriegs für Deutschland vernichtend, doch damit hatten die Politiker noch lange kein weißes Blatt Papier vor sich. Der Kanzler erinnert an die Währungsreform von 1948, nach der die Geschäfte wenige Tage später wieder voll waren. Doch so einfach war es nicht.

Nur zwei Jahre später geriet die junge BRD in eine tiefe Zahlungsbilanzkrise. Die Importe überstiegen im Laufe des Jahres 1950 die Exporte immer mehr und mussten Anfang 1951 eingeschränkt werden; zudem stellte die Bank deutscher Länder, der Vorläufer der Bundesbank, alle Kredite an Banken ein. Bundeskanzler Konrad Adenauer und sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard lagen miteinander im Clinch.

Hinzu kam, dass auf der jungen Bundesrepublik ein gewaltiger Schuldenberg lastete, der sie zu erdrücken drohte – die gesamte Schuldenlast entsprach dem Zehnfachen des westdeutschen Bruttosozialprodukts im Jahr 1950 – zum Vergleich: In Griechenland während der Eurozonenkrise 2010 war es das Anderthalbfache. Erst das Londoner Schuldenabkommen von 1953 machte den Weg frei – acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit einem Schlag wurden der Bundesrepublik fast die Hälfte ihrer Vor- und Nachkriegsschulden erlassen. Die Schulden aus der NS-Zeit wurden ganz auf Eis gelegt und auf eine endgültige Friedensregelung verschoben, die nie kam.

Kanzler Merz erweckt den Eindruck, dass die Menschen damals weniger Ansprüche gehabt und es den Politikern damit einfacher gemacht hätten zu regieren. Doch die junge Bundesrepublik war konfliktgeladen, aufmüpfig und gespalten – sowohl die Parteien als auch die Gesellschaft.  [...]" (Selbstblockade FR 24.10.2025)


Dienstag, 21. Oktober 2025

Hitlers Methode, die Zustimmung der Bevölkerung zu erreichen, war gewiss auch Bestechung

 Götz Aly zeigt das in dem folgenden Gespräch mit   Cornelia Hecht-Zeiler deutlich auf:

https://www.youtube.com/watch?v=EODx3P98PYw&t=2284s

Was mich dabei stört, ist, dass Aly dabei so tut, als seien alle anderen Erklärungen für Hitlers Erfolg, falsch.

Das ist durch seinen Stolz auf seine bisher zu wenig beachtete Überlegung gut zu erklären. Er verzichtet in diesem Gespräch allerdings - wie bei anderen Argumentationen, die ich kenne,  auf die Widerlegung der Argumente der Gegenseite. Das stört mich. 

Aber dass die Bevölkerung vielleicht mehr durch Bestechung als durch Terror gelenkt wurde, ist ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis von Hitlers Erfolg. Das kam zwar in früheren Argumentationen    (1. Mai erstmals gesetzlicher Feiertag, Kraft-durch-Freude-Reisen usw.) zwar vor, aber es kam zu kurz.

Krankenversicherung für Rentner (1941), Witz: Der Führer besucht Fabrik fragt den Betriebsleiter Gibt es noch Wähler linker Parteien? Der: 40% SPD, KPD wählten die anderen 60%. Der Führer: „Gibt es gar keine Nationalsozialisten?“ „Nationalsozialisten sind sie doch alle.“]
 1. Weltkriegs gab es Kriegssteuern, im 2. Weltkrieg wurde ein großer Teil der Kriegskosten lange durch Ausbeutung der besetzten Gebiete bezahlt. ["Taktische Maßnahmen", um potenziellen Widerstand einzudämmen. Sie waren sozial und so gesehen auch links.] Der Umtauschkurs in den besetzten Gebieten wurde für die Soldaten künstlich günstig gestaltet. Deshalb konnte mein Vater Päckchen mit Süßigkeiten oder Kleidung nach Hause schicken und sich landeskundliche Bücher kaufen.*
Der Krieg war ein "Schicksal", was man ertragen musste und was man nach Kräften irgendwie sinnvoll zu gestalten suchte, um nicht zu verzweifeln. 

"Günstige Voraussetzungen für den Nationalsozialismus: z.B. der latente Antisemitismus; aber auch die Demokratie. Ohne die wäre Hitler nicht zur Macht gekommen. Beim Kaiser hätte er keine Chance gehabt."

(So habe ich aus seinen Büchern etwas über Charles de Coster erfahren und ein Buch mit der Übersetzung der Kalevala anblättern. Er hat über Finnlands Land und Leute einen Text für seine Mitsoldaten geschrieben. Mein sprachbegabter Onkel hat  etwas Estnisch und Norwegisch gelernt. Englisch zu lernen, hat er abgelehnt, weil er da nicht als Befreier/Besatzer kam, sondern in Deutschland in einem englischen Lager interniert war). So hat der Krieg den Blick geweitet, und ich habe in meiner frühen Jugend in einem Alter etwas über fremde Kulturen erfahren, was der Schulunterricht beiseite lassen musste. Es war herzlich wenig, aber das Bild meines Vaters, den ich nie kennengelernt habe, enthielt außer seinen Fächern, Griechisch und Latein auch Elemente anderer europäischer Kulturen.


Freitag, 17. Oktober 2025

Adenauer aus der Sicht von 2025

"[...] Frei: Er glaubte, dass sie [die NSDAP] sich wieder niederringen lässt, und wollte sie nicht durch zu viel Aufmerksamkeit noch größer machen. Diese Haltung beruhte auf seiner lange Zeit unangefochtenen Amtsstellung. Aber die Nationalsozialisten verstanden es, ihn als korrupt und elitär in Verruf zu bringen. Wohl auch deshalb hat er dem neuen Reichskanzler Hitler vor der Märzwahl 1933 demonstrativ die Begrüßung in Köln verweigert. Das war ein starkes Zeichen. ZEIT: Adenauer galt den Nationalsozialisten als Repräsentant des verhassten Weimarer Systems. Zugleich hatte er überaus autoritäre Züge. Wie stand er zur parlamentarischen Demokratie? Frei: Adenauer war immer ein Mann der Exekutive, nicht des Parlaments. Deswegen hatte er auch mit den Präsidialregimen in der Spätphase Weimars kein großes Problem. Er wollte Taten sehen, und er hat viel geleistet. Auf den Inneren Grüngürtel in Köln war er bis zum Ende seines Lebens stolz. ZEIT: Geboren im Januar 1876, vor 150 Jahren, wurde er im Kaiserreich politisch sozialisiert. Frei: Ja, aber es fiel ihm 1918 überhaupt nicht schwer, sich auf die neue Ordnung einzustellen. Er hegte keine antidemokratischen Affekte. Er »machte« einfach, ließ sich als junger, erfolgreicher und extrem gut bezahlter Oberbürgermeister auf die Republik ein, wurde Präsident des Preußischen Staatsrats. Adenauer war ein überzeugter bürgerlichkonservativer Repräsentant Weimars. ZEIT: Sie beschreiben ihn als ausgeprägten Besitzbürger. Es fällt sogar das Wort Geldgier. Frei: Er war ein Selfmademan. Er hielt es für selbstverständlich, als Oberbürgermeister im modernsten Mercedes gefahren zu werden und ein Haus in bester Kölner Villenlage zu besitzen. Auch während der NS-Zeit fand Adenauer Halt im Materiellen. Das Haus in Rhöndorf, das er 1937 bauen ließ, war seine mentale Burg. Es gab ihm Sicherheit nach einer Zeit, in der ihn sein Lebensmut ziemlich verlassen hatte. In früheren Biografien wurde das kaum thematisiert. 

ZEIT: Er hatte Suizidgedanken? 

Frei: Ja, er hatte 1933 Suizidgedanken. Das verbietet sich natürlich für einen Katholiken, und es verbietet sich für einen Familienvater. »Wenn nicht meine Familie und meine religiösen Grundsätze wären«, schrieb er seinem Freund Heineman, »hätte ich schon lange meinem Leben ein Ende gemacht.« ZEIT: Aus Angst? Hoffnungslosigkeit? Aus einem Gefühl der Demütigung heraus? Frei: Die Niedertracht der Nazis und seine Entlassung als Oberbürgermeister hatten ihn zutiefst getroffen. Er stritt nach 1933 noch jahrelang mit den NS-Oberen um seine Beamtenversorgung. Und er entwickelte einen fundamentalen Zweifel am politischen Verstand, ja der moralischen Zurechnungsfähigkeit der Deutschen. Auch von seinem eigenen politischen Milieu sah sich Adenauer fallen gelassen. Nicht zufällig setzte er sich nach 1945 nicht für die Wiederbelebung der katholischen Zentrumspartei ein, sondern für die Gründung der überkonfessionellen CDU. 

ZEIT: Wobei das katholische Milieu 1933 zunächst viel resistenter gewesen war als etwa das protestantische. Frei: Natürlich. Auch Adenauer war durch seinen Katholizismus geradezu antinationalsozialistisch imprägniert. Überdies pflegte er enge freundschaftliche Kontakte ins jüdische Bürgertum seiner Heimatstadt.

 Als junger Oberbürgermeister hatte er in dem Bankier Louis Hagen einen wichtigen Mentor. 

ZEIT: Warum ist er nicht ins Exil gegangen? Frei: Er glaubte wohl zu wissen, dass die Naziherrschaft nicht tausend Jahre dauern wird, und er wollte sie mit etwas Vorsicht im Reich überstehen. [...]

ZEIT: Adenauer wurde angetragen, sich dem Widerstand anzuschließen. Warum lehnte er ab? 

Frei: Er wollte sich und seine Familie nicht gefährden. Und er hatte politische Bedenken. Schon 1943 soll er im privaten Kreis gesagt haben, dass die Kriegsniederlage, anders als 1918, eine totale sein müsse – sonst gebe es eine neue Dolchstoßlegende. Adenauer war überzeugt, dass Deutschland nur von außen befreit werden könne. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 stand die Gestapo allerdings auch in Rhöndorf vor der Tür. Vier Wochen später wurde Adenauer festgenommen, konnte aber mithilfe eines Kölner Kommunisten aus der Lagerhaft entkommen und tauchte unter. Die Gestapo verhaftete daraufhin seine Frau und erpresste sie mit der Drohung, auch die Töchter einzusperren. Gussie Adenauer verriet das Versteck ihres Mannes und versuchte danach aus Scham, sich das Leben zu nehmen. Beide kamen wieder frei, aber diese Wochen hinterließen Spuren in der Familie. ZEIT: Wie stand Adenauer nach 1945 zum 20.Juli? Frei: So wie die meisten Führungsfiguren der frühen Bundesrepublik: Bis zum zehnten Jahrestag 1954 blieb er zurückhaltend. Zu dominant war immer noch die Stimmung gegen die »Eidbrecher« aus der Wehrmacht, und der Kanzler wollte keine Wählerstimmen verlieren. ZEIT: Gab es eigentlich nur den Pragmatiker Adenauer, der den 20. Juli beschwieg in machttaktischer Rücksichtnahme? Oder war da noch ein anderer? [...]

Frei: [...] Was den Widerstand betrifft, war er ein zu großer Realist und Pessimist, als dass er eine Chance gesehen hätte. Und seine Skrupellosigkeit als Wahlkämpfer ist legendär. Wenn es seiner Sache diente, war Adenauer fast jedes Mittel recht. Er wusste: Ein ganzes Volk hat versagt, und wenn ich es für meine politischen Ziele gewinnen will, kann ich ihm dieses Versagen nicht ständig vorhalten. Mit der ihm eigenen Diskretion des Unkonkreten bemäntelte er daher Dinge, von denen in Deutschland fast niemand etwas wissen, geschweige denn gewusst haben wollte. Selbst in den Verhandlungen über die Entschädigungszahlungen an Israel sprach er nicht von Verbrechen, sondern nur vage von dem »Unrecht«, das den Juden geschehen sei. 

ZEIT: Was hielt er von der Idee der Alliierten, die Deutschen umzuerziehen? Frei: In vertraulichen Korrespondenzen schrieb er 1945/46 ganz unverblümt, dass die von den Nazis indoktrinierte junge Generation umerzogen werden müsse. Die mittlere, die zu verantworten hatte, was passiert war, sei ebenfalls nicht zu gebrauchen. Übrig blieben nur die Weimarer Demokraten seiner eigenen Generation – also allen voran er selbst. Sein Führungsanspruch war insofern auch Folge seines schon erwähnten Misstrauens gegenüber den Deutschen. Sein unausgesprochenes Prinzip war: Ich weiß, was richtig ist, und setze das durch. Entsprechend instrumentell bediente er sich seines Personals: »Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat«, lautete sein Credo im Umgang mit den belasteten Funktionseliten. 

ZEIT: Bereitete es ihm kein Unbehagen, Leuten, vor denen er sich zwölf Jahre lang fürchten musste, wieder den Weg in Ämter und Positionen zu ebnen? Frei: Adenauer wusste, wie opportunistisch die Menschen sind. Unter den neuen, von ihm gesetzten Rahmenbedingungen würden sie schon funktionieren. Diese Denkweise zeigte sich auch in der berüchtigten Causa Globke. 

ZEIT: Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, war Staatssekretär im Kanzleramt. Frei: Wofür Adenauer immer wieder heftige Kritik aus dem In- und Ausland einstecken musste. Aber er hielt bis zum Schluss an seinem Eckermann fest. Globke war dem Kanzler einfach zu nützlich. Und das, obwohl der von sich selbst sagte: Ich hätte das nicht gekonnt, ich hätte 1933 nicht im Reichsinnenministerium bleiben können. 

ZEIT: Hätte es fürs Kanzleramt nicht etwas »saubereres Wasser« gegeben als ausgerechnet Globke? Frei: Da kam, je länger, desto mehr, wohl auch Sturheit ins Spiel, zumal angesichts des Drucks aus Ost-Berlin: Je maßloser die DDR-Propaganda gegen das »klerikalfaschistische Adenauer-Regime« hetzte, desto entschiedener hielt der Kanzler im Zeichen des Antikommunismus dagegen. [...]

Frei: Entscheidend war für ihn der Erfolg, den seine Politik des kalkulierten Beschweigens hatte. Die Bundesrepublik entwickelte sich zu einer funktionierenden Demokratie, und Leute, die eben noch Hitler zugejubelt hatten, jubelten nun ihm zu und wählten demokratische Parteien. Der Preis dafür war, Schluss zu machen mit der »Nazi-Riecherei«. Adenauer handelte in dem Bewusstsein, Deutschland dieses Mal auf den richtigen Weg bringen zu können. Er formulierte nicht in Kategorien des persönlichen Stolzes, aber nach seiner ersten USA-Reise sagte er 1953, er sei stolz darauf, dass der »deutsche Name« wieder etwas gelte in der Welt. Daraus sprach kein primitiver Nationalismus, sondern Genugtuung über eine Leistung, die in seinen Augen auch die NS-Jahre ein Stück weit aufwog.  [...]

Irgendwann verstand dieser dann doch sehr alte Mann die Welt nicht mehr. Aber hinter seinem autoritären Führungsstil steckte auch ein Charakterzug: Adenauer, der Patriarch. Im Greisenalter trat das noch stärker hervor. Auch seine gegen die Sozialdemokraten gerichtete antikommunistische Rhetorik verhärtete sich, ganz zu schweigen von der illegalen Bespitzelung der SPD durch den Bundesnachrichtendienst, die er billigte und von der er profitierte. 

ZEIT: Adenauer hat die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur vermieden. Eines aber setzte er 1952/53 gegen die »Volksstimmung« durch: das sogenannte Wiedergutmachungsabkommen mit Israel. Was waren seine Motive? 

Frei: Zum einen war er überzeugt, dass das begangene »Unrecht« nach Sühne verlangte. Zum anderen war ihm klar, dass die Bundesrepublik von dem Abkommen profitieren würde auf ihrem Weg, wieder ein angesehenes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft zu werden. ZEIT: Etwas »wiedergutgemacht« hat das Abkommen also vor allem für Deutschland? Frei: Nicht »vor allem«. Der junge israelische Staat profitierte erheblich von den Zahlungen. Adenauer wusste natürlich, dass das nicht populär war, weshalb im Stillen verhandelt wurde, auch mit Rücksicht auf die israelische Seite, denn in Israel war das Abkommen ebenfalls umstritten. Zugleich sprach er gelegentlich etwas drohend von der »Macht der Juden«, gerade in Amerika. Womöglich hatte er den berühmten Satz des Hohen Kommissars John McCloy im Ohr, das Verhältnis der Deutschen zu den Juden werde sich als »Prüfstein« für die Entwicklung des »neuen Deutschlands« erweisen. Nicht zuletzt hatte das Thema für ihn eine persönliche Dimension. Besonders deutlich zeigte sich das nach den Hakenkreuzschmierereien an der Kölner Synagoge 1959, die eine internationale Welle der Empörung auslösten. Adenauer hielt damals eine Ansprache, in der er, ganz untypisch, von sich selbst erzählte: In seiner Bedrängnis 1933 seien es zwei Juden gewesen, die ihm als Erste Hilfe anboten. 

ZEIT: Hätte es Alternativen gegeben zu seiner Vergangenheitspolitik, vor allem zum Wiedereinsetzen der Tätergeneration? 

Frei: Grundsätzlich führte nach dem Ende der Entnazifizierung an der Reintegration der Funktionseliten kein Weg vorbei. Aber man hätte an vielen Stellen strenger, genauer und kritischer sein können, etwa bei den Polizeibehörden. ZEIT: War es nicht auch eine riskante Wette, die der misstrauische Adenauer da eingegangen ist? Frei: Ja, das war mit einem gewissen Risiko behaftet, aber er sah sehr schnell, dass er auf dem richtigen Weg war. Es ist atemberaubend, wie rasant und unbeirrbar Adenauer die Weichen gestellt und seine Politik der Westbindung auch gegen Widerstände in der eigenen Partei betrieben hat. Das war revolutionär und bleibt sein größtes Verdienst. [...]"

Norbert Frei

Gleichheit und Ungleichheit

  Erst jetzt, wo wir erkennen, dass die Gesellschaft der gleichberechtigten Staatsbürgerbürger (Zum Selbstverständnis gleichberechtigter Bü...