Begrenzt humanitär ZEIT
Vor 60 Jahren führte die Bundesrepublik das individuelle Asylverfahren nach Artikel
16 des Grundgesetzes ein. Den Innenminister stellte damals die CSU. Rückblick
auf eine erstaunlich aktuelle Debatte
"[...]Die Frage, wie die Zuwanderung zu regulieren ist, begleitete die Bundesrepublik von
Anfang an. Schon im Juni 1949 verkündete ein Strategiepapier, dass es "den anhaltenden
Zustrom illegaler Einwanderer und unerwünschter Flüchtlinge zu verhindern" gelte. Verfasst
hatten es die Westalliierten, die Wege suchten, die deutsche Grenze effektiv zu sichern. Dies
war ihnen bislang nicht gelungen, obwohl sie massiv Militär einsetzten. Vor allem nach
Bayern reisten 1949 monatlich bis zu 4.000 ausländische Flüchtlinge illegal ein, die meisten
über die Tschechoslowakei und Österreich; viele zogen in Staaten der Westalliierten weiter.
Abhilfe, hieß es in dem Dokument, könnten Asylverfahren schaffen. Flüchtlinge, die an der
Grenze um Asyl baten, sollten fortan in "besondere Aufnahmelager" gebracht werden. Hier
wollte man sie "registrieren und überprüfen", um zu entscheiden, wer bleiben dürfe.
Erklärtes Ziel war es, die meisten in ihre Heimat zurückzuschicken. Denn die Alliierten
waren überzeugt, dass die Beweggründe der Flüchtlinge "in der Mehrzahl der Fälle nicht stark
genug sind, um ihre Aufnahme zu rechtfertigen"
Die Bonner Regierung war gewillt, diesem Vorschlag zu folgen. Doch stellten die Alliierten eine Bedingung: dass die Bundesrepublik den anerkannten Flüchtlingen einen besonderen Schutzstatus verlieh. Dies sollte unter anderem verhindern, dass Flüchtlinge in die Staaten der Alliierten weiterwanderten, falls sie in Westdeutschland keine angemessenen Lebensbedingungen vorfanden.
Während sich die Verhandlungen über diese und andere Fragen hinzogen, stieg der Druck. Im Juni 1950 beendete die International Refugee Organization, die sich seit 1947 um ausländische Flüchtlinge in Westdeutschland gekümmert und diese in Drittstaaten umgesiedelt hatte, ihre Arbeit in der Bundesrepublik. Flüchtlinge wurden nun, wie das Bundesinnenministerium am 30. Juni 1950 bemängelte, meist nicht einmal mehr erfasst. Es brauchte also dringend ein Kontrollinstrument. Sonst öffne man "unlauteren Elementen Tür und Tor", hieß es in einer Besprechung der Flüchtlingsverwaltungen der westdeutschen Länder am 11. Januar 1951. Ausländische Flüchtlinge sollten "zwangsweise einem Lager zugeführt werden", um sie dort nach ihren Fluchtgründen zu befragen. Besonders der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard drängte auf die Einführung von Asylverfahren, da in Bayern aufgrund seiner Grenzlage die meisten Flüchtlinge ankamen. Am 6. Januar 1953 schließlich wurde die Asylverordnung erlassen. Sie ermöglichte es, die bis zu 5.000 bereits illegal im Bundesgebiet lebenden Nichtdeutschen und zukünftige Flüchtlinge zu überprüfen.
Von Artikel 16 war dabei noch nicht die Rede: Die Rechtsgrundlage für die Verfahren bildete nicht das Grundgesetz, sondern die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Die wiederum galt damals de facto nur für Flüchtlinge aus dem sowjetischen Machtbereich, da sie ausschließlich Ereignisse aus der Zeit vor 1951 als Fluchtgrund anerkannte (eine Regelung, die auf die kommunistischen Machtübernahmen nach 1945 abzielte).
Zunächst verursachte das keine Schwierigkeiten, denn man hatte es kaum mit anderen Geflüchteten zu tun. Erst von Mitte der Fünfzigerjahre an kamen allmählich mehr Menschen infolge von Ereignissen jüngeren Datums in die Bundesrepublik – vor allem aus Algerien, Marokko und Tunesien. Für diese Flüchtlinge jedoch existierten keine Asylverfahren. Sie konnten sich lediglich, wenn sie ausgewiesen werden sollten, auf Artikel 16 berufen. Ein Asylverfahren folgte auch dann nicht. Und wer anschließend bleiben durfte, erhielt keinen Status als Asylberechtigter. Das Innenministerium erklärte dazu am 13. November 1958: "Eine ausdrückliche Feststellung, daß dem Ausländer der Schutz des Asyls zusteht, erübrigt sich, wenn dem Ausländer die Möglichkeit gegeben wird, sich im Bundesgebiet aufzuhalten." So stand es den Behörden offen, die Betroffenen vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt auszuweisen. Dazu kam es freilich äußerst selten.
Nur in Bayern fand der Gesetzesvorschlag keinen Anklang
Diese Situation brachte zwei Probleme mit sich: Erstens wurden die betreffenden Flüchtlinge nicht systematisch registriert. Und zweitens konnte man sie in der Regel selbst dann nicht abschieben, wenn man sie – etwa aufgrund von Vorstrafen – für gefährlich hielt. So entschied das Landgericht München 1964 im Falle eines als Spion verurteilten Kurden, dass dieser zwar ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstelle, jedoch nicht in die Türkei abgeschoben werden könne, da ihm dort die Todesstrafe drohe.
Anders lagen die Dinge bei den Flüchtlingen, die seit 1953 auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden: Sie konnten sehr wohl in einen Verfolgerstaat ausgewiesen werden. Denn anders als das Grundgesetz gestattete die Konvention nach Artikel 33 die Ausweisung eines Flüchtlings, wenn dieser "aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet".
Spätestens Anfang der Sechzigerjahre stieg die Zahl der Geflüchteten aus dem nichtkommunistischen Ausland deutlich an. Deshalb schlug das Bundesinnenministerium – angeregt durch den Bundestag – im Februar 1964 vor, künftig auch diese Flüchtlinge einem Asylverfahren zu unterziehen, und zwar auf Basis von Artikel 16. Dies würde eine umfassende Kontrolle in Form einer Registrierung und sicherheitspolizeilichen Überprüfung der Betroffenen ermöglichen. Bislang hielten sich diese Menschen, so klagte das Bundesinnenministerium, "mehr oder weniger unkontrolliert irgendwo auf", da es bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kaum weitere Überprüfungen gab. Durch ein Asylverfahren, gab der zuständige Ministerialrat Kurt Breull am 9. März 1964 zu bedenken, sei "wenigstens eine gewisse Sicherheit gegeben, daß diese Leute nicht an einer Stelle zusammenströmen, sondern in das Wirtschaftsleben eingegliedert werden". Die Einführung von Asylverfahren diene daher "dem Sicherheitsbedürfnis" der Bundesrepublik "in weitestem Maße".
Noch wichtiger war dem Bundesinnenministerium, dass man künftig auch vorbestrafte Flüchtlinge aus dem nichtkommunistischen Ausland würde ausweisen können. Denn diesen wollte man nach ihrer Anerkennung eine Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewähren. Das war die entscheidende Neuerung des geplanten Ausländergesetzes: Fortan würden auch nach Artikel 16 anerkannte Flüchtlinge den strikteren Ausweisungsbestimmungen der Genfer Konvention unterliegen. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hatte diesen Schachzug ermöglicht.
Der Gesetzesvorschlag fand weithin Anklang. Nur in Bayern nicht. Hier drehte man den Spieß gewissermaßen um: Statt Asylverfahren für alle einzuführen, forderte man die Abschaffung sämtlicher Verfahren – auch der 1953 eingeführten für die Flüchtlinge aus dem Sowjetbereich. Flüchtlingen sollte lediglich im Einzelfall "Schutz vor Ausweisung und Auslieferung an das Verfolgungsland" gewährt werden. Gegen Asylverfahren jeglicher Art sprach aus bayerischer Perspektive, dass diese "ziemlich lange" dauerten, wie der Vertreter des bayerischen Innenministeriums, Alexander Mayer, bemängelte. Oft würden die Leute "vorübergehend in Arbeit vermittelt", und wenn sie dann "einige Monate gut gearbeitet" hätten, werde sie "die Ausländerbehörde nicht mehr los".[...]"
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