Donnerstag, 22. Mai 2025

Friedensordnung verspielt - Antje Vollmer: Vermächtnis

 Antje Vollmer: Was ich noch zu sagen hätte Vermächtnis einer Pazifistin 

Ich stand auf dem Bahnhof meiner Heimatstadt und wartete auf den ICE. Plötzlich näherte sich auf dem Nebengleis ein riesiger Geleitzug, vollbeladen mit Panzern – mit Mardern, Geparden oder Leoparden. Ich kann das nicht unterscheiden, aber ich konnte schockartig das Bild lesen. Der Transport fuhr von West nach Ost. Es war nicht schwer, sich das Gegenbild vorzustellen. Irgendwo im Osten des Kontinents rollten zur gleichen Zeit Militärtransporte voller russischer Kampfpanzer von Ost nach West. Sie würden sich nicht zu einer Panzerschlacht im Stile des ersten Weltkrieges irgendwo in der Ukraine treffen. Nein, sie würden diesmal erneut den waffenstarrenden Abgrund zwischen zwei Machtblöcken markieren, an dem die Welt sich vielleicht zum letzten Mal in einer Konfrontation mit möglicherweise apokalyptischem Ausgang gegenübersteht. Wir befanden uns also wieder im Kalten Krieg und in einer Spirale der gegenseitigen existentiellen Bedrohung – ohne Ausweg, ohne Perspektive. Alles, wogegen ich mein Leben lang politisch gekämpft habe, war mir in diesem Moment präsent als eine einzige riesige Niederlage. Es ist üblich geworden zu Beginn jeder Erwähnung der ungeheuren Tragödie um den Ukraine-Krieg wie eine Schwurformel von der „Zeitenwende“, vom völkerrechtswidrigen brutalen Angriffskrieg Putins bei feststehender Alleinschuld der russischen Seite zu reden und demütig zu bekennen, wie sehr man sich geirrt habe im Vertrauen auf eine Phase der Entspannung und der Versöhnung mit Russland nach der großen Wende 1989/90. Diese Schwurformel wird wie ein Ritual eingefordert, wie ein Kotau, um überhaupt weiter mitreden zu dürfen. Die Feststellung ist ja auch nicht falsch, sie verdeckt aber häufig genau die Fragen, die es im Zentrum eigentlich zu klären gäbe. Wo genau begann die Niederlage? Wo begann der Irrtum? Wann und wie entstand aus einer der glücklichsten Phasen in der Geschichte des eurasischen Kontinents, nach dem nahezu gewaltfreien Ende des Kalten Krieges, diese erneute tödliche Eskalation von Krieg, Gewalt und Blockkonfrontation? Wer hatte Interesse daran, dass die damals mögliche friedliche Koexistenz zwischen Ost und West nicht zustande kam, sondern einem erneuten weltweitem Antagonismus anheimfiel? Und dann die Fragen aller Fragen: Warum nur fand ausgerechnet Europa, dieser Kontinent mit all seinen historischen Tragödien und machtpolitischen Irrwegen nicht die Kraft, zum Zentrum einer friedlichen Vision für den bedrohten Planeten zu werden? Für die Deutung historischer Ereignisse ist es immer entscheidend, mit welchen Aspekten man beginnt, eine Geschichte zu erzählen. Ich widerspreche der heute üblichen These, 1989 habe es eine etablierte europäische Friedensordnung gegeben, die dann Schritt um Schritt einseitig von Seiten Russlands unter dem Diktat des KGB-Agenten Putin zerstört worden sei, bis es schließlich zum Ausbruch des Ukraine-Krieges kam. Das ist nicht richtig: 1989 ist eine Ordnung zerbrochen, die man korrekter als „Pax Atomica“ bezeichnet hat, ohne dass eine neue Friedensordnung an ihre Stelle trat. Diese zu schaffen, wäre die Aufgabe der Stunde gewesen. Aber die visionäre Phantasie Europas und des Westens in der Wendezeit reichte nicht aus, um ein haltbares Konzept einer europäischen stabilen Friedensordnung auszudenken, das allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion nunmehr einen Platz verlässlicher Sicherheit und Zukunftshoffnungen anzubieten vermocht hätte. Zwei Gründe sind dafür entscheidend. Beide haben mit alten europäischen Irrtümern zu tun: Zum einen wurde der umfassende wirtschaftliche und politisch Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 einseitig als triumphaler Sieg des Westens im Systemkonflikt zwischen Ost und West interpretiert, der damit endgültig die historische Niederlage des Ostens besiegele. Dieser Hang, sich zum Sieger zu erklären, ist eine alte westliche Hybris und seit jeher Grund für viele Demütigungen, die das ungleiche Verhältnis zum Osten prägen. Die Unfähigkeit, andere gleichberechtigte Lösungen nach so umfassenden Umbrüchen zu suchen, hat in dieser fatalen Überheblichkeit ihre Hauptursache. Vor allem aber wurde so das ungeheure einzigartige Verdienst der sowjetischen Führung unter Michael Gorbatschow mit einer verblüffenden Ignoranz als gerngesehenes Geschenk der Geschichte eingeordnet: Die große Vorleistung des Gewaltverzichts in der Reaktion auf das Freiheitsbestreben der Völker des Ostblocks galt als nahezu selbstverständlich. Das aber war es gerade nicht. Bis heute ist erstaunlich, ja unfassbar, wie wenig Gewicht dem beigemessen wurde, dass die Auflösung eines sowjetischen Weltimperiums nahezu gewaltfrei vonstatten ging. Die naive Beschreibung eines dermaßen einmaligen Vorgangs lautete dann etwa so: Wie ein Kartenhaus, hochverdient und unvermeidlich sei da ein ganzes System in sich zusammengesackt. Dass gerade diese Gewaltfreiheit das größte Wunder in der Reihe wundersamer Ereignisse war, wurde kein eigenes Thema. Es wurde vielmehr als Schwäche gedeutet. Es gibt aber kaum Vorbilder in der Geschichte für einen solchen Vorgang. Selbst die schwächsten Gewaltregime neigen gerade im Stadium ihres Untergangs gesetzmäßig dazu, eine Orgie von Gewalt, Zerstörung und Selbstzerstörung anzurichten und alles mit in ihren eigenen Untergang mitzureißen – wie exemplarisch beim Untergang des NS-Reiches zu sehen war. Die Sowjetunion des Jahres 1989 unter Gorbatschow, wiewohl politisch und wirtschaftlich geschwächt, verfügte über das größte Atompotential, sie hatte eigene Truppen auf dem gesamten Gebiet ihrer Herrschaft stationiert. Es wäre ein leichtes gewesen, das alles zu mobilisieren. Das wurde ja auch von vielen Vertretern des alten Regimes vehement gefordert. Mit dem historischen Abstand wird noch viel deutlicher als heute klar werden, welche staatsmännische Leistung es war, lieber „Helden des Rückzugs“ (Enzensberger) zu sein, als in einem letzten Aufbäumen als blutiger Rächer und Schlächter von der Geschichte abzutreten. Die Wahl, die Michael Gorbatschow fast allein getroffen hat, hat ihm nicht zuletzt die Enttäuschung vieler seiner Bürger eingebracht. Es hieß, er habe nachträglich den großen vaterländischen Krieg verloren. Wie ein stummes Mahnmal gigantischer europäischer Undankbarkeit steht dafür der erschreckend private Charakter der Trauerfeier um den wohl größten Staatsmann unserer Zeit auf dem Moskauer ProminentenFriedhof. Es wäre ein Gebot der Stunde gewesen, dass die Granden Europas Michail Gorbatschow, der längst im eigenen Land isoliert war, ihre Hochachtung und ihren Respekt erwiesen hätten, indem sie sich vor ihm verneigten. Zumindest aus Deutschland, das ihm fast allein das Glück der Wiedervereinigung verdankte, hätte ein Bundespräsident Steinmeier an diesem Grab stehen müssen. Die Einsamkeit um diesen Toten war unerträglich. So nutzte ausgerechnet Viktor Orban die Chance, diesen Boykott einer angemessenen Würdigung zu unterlaufen. Es bleibt ein beschämendes Zeichen, ein Menetekel von historischer Ignoranz. Wenige Tage später drängelten sich die Repräsentanten des europäischen Zeitgeistes dann alle mediengerecht am Grab der englischen Queen und des deutschen Papstes Benedict XVI. Bis heute ist mir schwer verständlich, warum es nicht zumindest eine Demonstration der Dankbarkeit bei den eigentlichen Profiteuren dieses Gewaltverzichtes, bei den Bewegungen der friedliche Bürger-Proteste gegeben hat. Gerade sie hatten ja hautnah die Ängste erfahren, was alles hätte passieren können, wenn es 1989 in Ostberlin eine Reaktion wie bei den Studenten-Protesten in Peking gegeben hätte. Und tatsächlich ist ein Teil der heutigen Zurückhaltung im Osten Deutschlands gegenüber der einseitigen Anprangerung Russlands wohl dieser anhaltenden Dankbarkeit zuzuschreiben. Mediale Wortführer und Interpreten aber wurden andere – und sie wurden immer dreister. Immer kleiner wurde in ihren Interpretationen der Anteil am Verdienst der Gewaltfreiheit auf sowjetischer Seite, immer wirkmächtiger wurde die Legende von der eigenen großartigen Widerstandsleistung. Alle kundigen Zeitzeugen wissen genau, dass der Widerstand und der Heldenmut von Joachim Gauck, Marianne Birthler, Katrin Göring-Eckardt durchaus maßvoll war und den Grad überlebenstüchtiger Anpassung nicht wesentlich überschritt. Manche Selbstbeschreibungen lesen sich allerdings heute wie Hochstapelei. Sie verschweigen und verkennen, was andere zum großen Wandel beitrugen und dass mancher Reformer im System keineswegs weniger Einsatz und Mut gewagt hat. Das mag menschlich, allzu menschlich sein und also nicht weiter erwähnenswert. Fatal allerdings ist, dass dieser Teil der Bürgerrechtler heute zu den eifrigsten Kronzeugen eines billigen antirussischen Ressentiments zählt. Er knüpft dabei bruchlos an jene Ideologie des Kalten Krieges an, die vom berechtigten Antistalinismus über den verständlichen Antikommunismus bis hin zur irrationalen Slawenphobie viele Varianten von westlichen Feindbildern bis heute prägt. Die wichtigsten Fragen, die heute zwischen Ost und West strittig verhandelt werden müssten, lauten: Was bedeutet es eigentlich, eine europäische Nation zu sein? Was unterscheidet uns von anderen? Welche Fähigkeiten muss eine Nation erwerben, um dazu zu gehören? Was sind die Lehren unserer Geschichte? Welche Ideale prägen uns? Welche Irrtümer und Verbrechen? Sie alle werden in aller Deutlichkeit wachgerufen am Beispiel der Ukraine und ihres Abwehrkampfes gegen die russische Aggression. In unseren Medien verkörpert die Ukraine das Ideal und Vorbild einer freiheitsliebenden westlichen Demokratie heroischen Zuschnitts. Die Ukraine, so heißt es, kämpfe nicht nur für ihre eigene Nation, sondern zugleich für die historische universale Mission des Westens. Wer sich machtpolitisch behauptet, wer seine Existenz mit blutigen Opfern und Waffen verteidigt, gilt als Bollwerk für die europäischen Ideale der Freiheit, koste es, was es wolle. Wer aber den Weg des Konsenses, der Kooperation, der Verständigung und der Versöhnung sucht, gilt als schwach und deswegen als irrelevant, ja als verächtlich. Von daher sind Gorbatschow und Selenskyj die eigentlichen Antitypen in der Frage, was es heute heißt, Europäer zu sein und die europäischen Tugenden zu verkörpern. Neben diesem Hang zum Heroischen und zur Selbsterhöhung liegt hier die Wurzel, die ich für den Grundirrtum einer europäischen Identität halte: Das ist das scheinbar unausrottbare Bedürfnis nach nationalem Chauvinismus. Jahrhundertelang haben nationale Exzesse die Geschichte unseres Kontinents geprägt. Keine Nation war frei davon: nicht die Franzosen, schon gar nicht die Briten, nicht die Spanier, nicht die Polen, nicht die Ukrainer, nicht die Balten, nicht die Schweden, nicht die Russen, noch nicht einmal die Tschechen - und schon gar nicht die Deutschen. Es ist ein fataler Irrtum, zu meinen, durch den Widerstand gegen die anderen imperialen Mächte gewinne der eigene Nationalismus so etwas wie eine historische Unschuld. Das ist Selbstbetrug und einer der folgenschwersten europäischen Irrtümer. Er verführt auch heute noch viele junge Demokratien dazu, sich nur als Opfer fremder Mächte zu sehen und die eigene Gewaltgeschichte und Gewaltphantasien für berechtigt zu halten. Was Europa immer wieder zu lernen hatte und historisch meist verfehlte, ist die Kunst der Selbstbegrenzung, der friedlichen Nachbarschaft, der Fairness, der Wahrung gegenseitiger Interessen und des Respektes voreinander. Was Europa endlich verlernen muss, ist dagegen das ständige Verteilen von Ketzerhüten, das ausmachen von Achsen des Bösen und von immer neuen Schurkenstaaten. Ach Europa! Jedes Mal, wenn wieder eine der großen Krisen und Kriege des Kontinents überstanden war – nach dem 30-jährigen Krieg, nach dem Feldzug Napoleons gegen Russland, nach zwei Weltkriegen, nach dem Kalten Krieg - konnte man hoffen, der machtpolitische Irrweg sei nun durch bittere Erfahrung widerlegt und gebe einem überlebenstüchtigeren Weltverständnis endlich Raum. Und jedes Mal fielen wie durch einen Fluch die Völker Europas wieder der Versuchung anheim, den Weg der Dominanz und der Konfrontation zu gehen. Umso wertvoller ist aber das große Gegenbeispiel: Gorbatschows Hoffnung, dass auch für alle ehemaligen Staaten der SU eine neue Sicherheitsordnung gefunden würde, die den unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnissen gerecht werden würde, war der Charta von Paris durchaus angedacht als Raum gemeinsamer wirtschaftlicher und politischer Kooperation zwischen dem alten Westeuropa und den neuen östlichen Staaten. Das war damals auch die Vision von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Aber es gab keinen Plan, kein Konzept, die Vision war einfach zu undeutlich. Wie schnell sich wieder das Gefühl des leichten Triumphes einstellte, lässt sich an einem traurigen Beispiel gut ablesen: Am Umgang mit Jugoslawien. Jugoslawien gehörte zu den blockfreien Staaten, es hatte sich rechtzeitig vom Stalinismus gelöst. Es hatte die jahrhundertealten nationalen Rivalitäten aus der Zeit der Donau-Monarchie einigermaßen befriedet. Es wäre nichts leichter gewesen, als diesem Jugoslawien als Ganzem 1989 eine Öffnung nach Europa und zur EU anzubieten. Es hätte Zeit gebraucht, aber es wäre möglich gewesen. Man hätte nur darauf verzichten müssen, dem nationalen Drängen der Slowenen und Kroaten zu schnell nachzugeben und das neue Feindbild der allein aggressiven Serben zu pflegen. Solche Weisheit allerdings fehlte völlig im Überbietungswettstreit um die Anerkennung neuer Nationalstaaten auf dem Balkan. Der bosnische Bürgerkrieg, Srebrenica, die Zerstörung Sarajewos, Hunderttausende Tote und traumatisierte Menschen, der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO gegen Belgrad, die völkerrechtswidrige Anerkennung des Kosovo als selbständiger Staat, das vielfältige Aufbäumen von neuen nationalen Chauvinismen wären vermeidbar gewesen. Was bedeutet das alles für die unmittelbare Gegenwart und für die deutsche Politik im Jahre 2023? Die Koordinaten haben sich entscheidend verschoben. Bis zum Ende der Regierung Schröder konnte man davon ausgehen, dass gerade Deutschland aus der Zeit der Entspannungspolitik einen privilegierten Zugang, zumindest einen gewissen Spielraum zum Konfliktausgleich zwischen den großen geopolitischen Spannungsherden innehatte. Diese Zeit ist endgültig vorbei. Ungefähr im Jahre 2008 begann Putin dem zu misstrauen und seinen Machtbereich gegen den Westen auszurichten. Deutschland begann sich als europäischer Riegenführer im neuen Konzept der NATO zu definieren. Im Rahmen der Reaktionen auf den Ukrainekrieg rückte es endgültig ins Zentrum der antirussischen Gegenstrategien. Das begrüßenswerte, aber medial vielgescholtene Zögern des Kanzlers Olaf Scholz war zu wenig von einer haltbaten politischen Alternative unterfüttert und geriet so ins Rutschen. Wirtschaftlich und politisch zahlen wir dafür einen hohen Preis. Der deutsche Wirtschaftsminister bemüht sich, die alten Abhängigkeiten von Russland und China durch neue Abhängigkeiten zu Staaten zu ersetzen, die keineswegs als Musterdemokratien durchgehen können. Die Außenministerin ist die schrillste Trompete der neuen antagonistischen NATO-Strategie. Ihre Begründungen verblüffen durch argumentative Schlichtheit. Dabei wachsen die Rüstungskosten und der Einfluss der Rüstungs- und Energiekonzerne ins Unermessliche. Der Krieg verschlingt sinnlos die Milliarden, die für die Rettung des Planeten und die Armut des globalen Südens dringend gebraucht würden. Das aufsteigende China aber wird propagandistisch als neuer geopolitischer Gegner ausgemacht und in der Taiwan-Frage ständig provoziert. Das sind alles keine guten Auspizien. Und dennoch: Wenn mich nicht alles täuscht, steht Europa kurz vor der Phase einer großen Ernüchterung, die das eigene Selbstbild tief erschüttern wird. Für mich aber ist das ein Grund zur Hoffnung. Der so selbstgewisse Westen muss einfach lernen, dass die übrige Welt unser Selbstbild nicht teilt und uns nicht beistehen wird. Die eilig ausgesandten Sendboten einer neuen anti-chinesischen Allianz im anstehenden Kreuzzug gegen das Reich der Mitte scheinen nicht besonders erfolgreich zu sein. Wie konnten wir nur annehmen, dass das große China und die Hochkulturen Asiens die Zeit der willkürlichen Freihandels- und Opium-Kriege je vergessen würden? Wie sollte der leidgeprüfte afrikanische Kontinent die zwölf Millionen Sklaven und die Ausbeutung all seiner Bodenschätze je verzeihen? Warum sollten die alten Kulturen Lateinamerikas den spanischen und portugiesische Konquistadoren ihre Willkürherrschaft vergeben? Warum sollten die indigenen Völker weltweit das Unrecht illegaler Siedlungen und Landraubs einfach beiseiteschieben in ihrem historischen Gedächtnis? Meine Hoffnung besteht darin, dass sich aus all dem eine neue Blockfreienbewegung ergeben wird, die nach der Zeit der vielen Völkerrechtsbrüche wieder am alleinigen Recht der UNO arbeiten wird, dem Frieden und der Überlebensfähigkeit des ganzen Planeten zu dienen. Meine ganz persönliche Niederlage wird mich die letzten Tage begleiten. Gerade die Grünen, meine Partei, hatte einmal alle Schlüssel in der Hand zu einer wirklich neuen Ordnung einer gerechteren Welt. Sie war durch glückliche Umstände dieser Botschaft viel näher als alle anderen Parteien. Wir hatten einen echten Schatz zu hüten: Wir waren nicht eingebunden in die machtpolitische Blocklogik des Kalten Krieges. Wir waren per se Dissidenten. Wir waren gleichermaßen gegen die Aufrüstung in Ost wie im Westen, wir ahnten die Gefährdung des Planeten durch ungebremstes Wirtschaftswachstum und Konsumismus. Wer die Welt retten will, musste ein festes Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung anstreben, das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir lebten. Wir hatten dieses Zukunfts-Bündnis greifbar in den Händen. Was hat die heutigen Grünen verführt, all das aufzugeben für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen Machtpoker und dabei ihre wertvollsten eigenen Wurzeln verächtlich zu machen als lautstarke Antipazifisten? Ich erinnere mich an meine großen Vorbilder: Die härtesten Bewährungsproben hatten die großen Repräsentanten gewaltfreier Strategien immer in den eigenen Reihen auszufechten. Gandhi hat mit zwei Hungerstreiks versucht, den Rückfall der Hindus und Moslems in die nationalen Chauvinismen zu brechen, Nelson Mandela hatte äußerste Mühe, die Gewaltbereitschaft seiner jungen Mitstreiter zu brechen, Martin Luther King musste sich von den Black Panther als zahnloser Onkel Tom verhöhnen lassen. Ihnen wurde nichts geschenkt. Und das gilt auch heute für uns letzte Pazifisten. Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption. 

Gekürzt: Der Kalte Krieg mit seinen mühsam gebändigten Arsenalen gegenseitiger atomarer Hochrüstung zweier Supermächte war zwar eine Ordnung, die die Welt in einem Patt gegenseitiger Bedrohung gefangen hielt, eine Friedensordnung im eigentlichen Wortsinn war es nicht."

Berliner Zeitung 23. Februar 2023 ( Antje Vollmers Vermächtnis einer Pazifistin: „Was ich noch zu sagen hätte“. In: Berliner Zeitung. 23. Februar 2023)

"[...] „wenn nicht Annalena Baerbock, sondern ihre grüne Parteifreundin Antje Vollmer Außenministerin wäre“, kommentierte Heribert Prantl Vollmers Beitrag als ein „politisches Testament“, in dem sie, ihre Verzweiflung „am bellizistischen Kurs ihrer Partei“ vermächtnishaft darlegend, mit der Ratlosigkeit kämpfe, wie man „jetzt“ mit den Folgen der „politischen Fehler, die seit 1989 gemacht worden“ seien, umgehen solle.[24][Wikipedia]

Donnerstag, 15. Mai 2025

Zur Geschichte der Asylverfahren

Asylrecht in Deutschland (Wikipedia)


Begrenzt humanitär von Michael Mayer ZEIT 

"Vor 60 Jahren führte die Bundesrepublik das individuelle Asylverfahren nach Artikel 16 des Grundgesetzes ein. Den Innenminister stellte damals die CSU."

Die Verfahren dauerten zu lange, zu viele Leute kämen ins Land, und am Ende werde man sie nicht mehr los. So geht die Klage heute, und so ging sie in der Bundesrepublik schon 1964. Aus Bayern kam damals ein radikaler Vorschlag: Weg mit den Asylverfahren! Dies wäre, hieß es zur Begründung des am 13. Februar 1964 vorgelegten Gesetzentwurfs, "ein bedeutsamer Schritt zur Verwaltungsvereinfachung und würde wahrscheinlich die Abwicklung der einschlägigen Asylfälle erheblich beschleunigen". In einer Sitzung der Innenministerien von Bund und Ländern erklärte der bayerische Ministerialdirigent Alexander Mayer dazu: "Mindestens vier Fünftel der Leute, die Asyl begehren, würde von vornherein gesagt werden, daß Asyl überhaupt nicht in Frage komme, und sie könnten wahrscheinlich schon an der Grenze zum großen Teil von der Grenzpolizei gefaßt und sofort zurücküberstellt werden."
Das Land Bayern konnte sich damals nicht durchsetzen – wobei humanitäre Argumente eine Nebenrolle spielten. Entscheidend war etwas anderes: Bund und Länder waren sich einig, dass sich die Zuwanderung nicht allein an den Außengrenzen kontrollieren und beschränken lasse, sondern dass es dazu Asylverfahren brauche. Am Ende der Debatte stand, vor genau 60 Jahren, die umfassende Einführung ebendieser Verfahren nach Artikel 16 des Grundgesetzes: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Dieser Satz galt seit 1949 (ZEIT Nr. 23/24), war in der Praxis aber lange Zeit kaum von Bedeutung. Asylpolitisch markiert das Jahr 1965 daher eine Wende.
Die Frage, wie die Zuwanderung zu regulieren ist, begleitete die Bundesrepublik von Anfang an. Schon im Juni 1949 verkündete ein Strategiepapier, dass es "den anhaltenden Zustrom illegaler Einwanderer und unerwünschter Flüchtlinge zu verhindern" gelte. Verfasst hatten es die Westalliierten, die Wege suchten, die deutsche Grenze effektiv zu sichern. Dies war ihnen bislang nicht gelungen, obwohl sie massiv Militär einsetzten. Vor allem nach Bayern reisten 1949 monatlich bis zu 4.000 ausländische Flüchtlinge illegal ein, die meisten über die Tschechoslowakei und Österreich; viele zogen in Staaten der Westalliierten weiter. Abhilfe, hieß es in dem Dokument, könnten Asylverfahren schaffen. Flüchtlinge, die an der Grenze um Asyl baten, sollten fortan in "besondere Aufnahmelager" gebracht werden. Hier wollte man sie "registrieren und überprüfen", um zu entscheiden, wer bleiben dürfe. Erklärtes Ziel war es, die meisten in ihre Heimat zurückzuschicken. Denn die Alliierten waren überzeugt, dass die Beweggründe der Flüchtlinge "in der Mehrzahl der Fälle nicht stark genug sind, um ihre Aufnahme zu rechtfertigen".
Spätestens Anfang der Sechzigerjahre stieg die Zahl der Geflüchteten aus dem nichtkommunistischen Ausland deutlich an. Deshalb schlug das Bundesinnenministerium – angeregt durch den Bundestag – im Februar 1964 vor, künftig auch diese Flüchtlinge einem Asylverfahren zu unterziehen, und zwar auf Basis von Artikel 16. Dies würde eine umfassende Kontrolle in Form einer Registrierung und sicherheitspolizeilichen Überprüfung der Betroffenen ermöglichen. Bislang hielten sich diese Menschen, so klagte das Bundesinnenministerium, "mehr oder weniger unkontrolliert irgendwo auf", da es bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kaum weitere Überprüfungen gab. Durch ein Asylverfahren, gab der zuständige Ministerialrat Kurt Breull am 9. März 1964 zu bedenken, sei "wenigstens eine gewisse Sicherheit gegeben, daß diese Leute nicht an einer Stelle zusammenströmen, sondern in das Wirtschaftsleben eingegliedert werden". Die Einführung von Asylverfahren diene daher "dem Sicherheitsbedürfnis" der Bundesrepublik "in weitestem Maße".
Noch wichtiger war dem Bundesinnenministerium, dass man künftig auch vorbestrafte Flüchtlinge aus dem nichtkommunistischen Ausland würde ausweisen können. Denn diesen wollte man nach ihrer Anerkennung eine Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewähren. Das war die entscheidende Neuerung des geplanten Ausländergesetzes: Fortan würden auch nach Artikel 16 anerkannte Flüchtlinge den strikteren Ausweisungsbestimmungen der Genfer Konvention unterliegen. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hatte diesen Schachzug ermöglicht.[...]
Breull und Füßlein vertraten keineswegs ausländerfreundliche Positionen. Beide waren ehemalige NSDAP-Mitglieder; Breull kam sogar aus der völkischen Bewegung, war schon 1930 in die Partei eingetreten und hatte der SA angehört. Von 1949/50 an waren er und Füßlein im Bundesinnenministerium ausgerechnet für Asyl- und Ausländerfragen zuständig. Nach jahrelanger Erfahrung im Ministerium wussten die beiden Beamten 1964 aber auch, dass sich eine martialische Rhetorik oft kaum in die Praxis umsetzen ließ. Dies erklärt ihren pragmatischen Ansatz. 

Und sie hatten Erfolg damit: Am 28. April 1965 wurde das Ausländergesetz verabschiedet, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einheitliche Asylverfahren für alle Flüchtlinge vorsah.

Der CSU-Bundesinnenminister Höcherl präsentierte dies als "praktisches Bekenntnis zu den unveränderlichen Grundsätzen der Menschlichkeit". Das waren zwar keine leeren Worte, aber der Hauptgrund für die Einführung von Asylverfahren war ein anderer: der Wunsch, so viele Menschen wie möglich aufgrund fehlender Verfolgungsgründe abweisen zu können. Ferner erlaubten die Verfahren erstmals eine umfassende Überprüfung und Kontrolle aller ins Bundesgebiet einreisenden ausländischen Flüchtlinge.

In der Praxis zeigte sich, dass der zweite Punkt der entscheidende war, denn "im großen Stil abschieben", das gelang schon damals nicht. Bereits in den Fünfzigerjahren nahm man im Bundesinnenministerium an, dass nur ein Teil der Menschen, die im Asylverfahren abgelehnt werden, auch ausgewiesen werden könnten – entweder weil sie staatenlos waren oder weil sie bereits zu lange im Bundesgebiet lebten. Deshalb sei, wenn "ein einmal ergangener Ausweisungsbefehl auf dem Papier stehenbleibt, von einer Ausweisung von vornherein abzusehen". Der bayerische Vorschlag hätte daran kaum etwas geändert. Zugleich hätte er eine systematische Kontrolle der Eingereisten erschwert. Und das Problem an der Grenze zu lösen, war schon den Alliierten nicht gelungen. [...]"

 https://www.zeit.de/2025/20/asylverfahren-geschichte-asylrecht-deutschland-migration

Samstag, 3. Mai 2025

Aus der Geschichte der DDR

Infrastruktur

 https://www.mdr.de/geschichte/ddr/wirtschaft/verkehr/auto-industrie-siebziger-100.html

https://www.mdr.de/geschichte/ddr/index.html Einzelinformationen zum Leben in der DDR

Beispiel: der schwarze Kanal

https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/kultur/karl-eduard-von-schnitzler-der-schwarze-kanal-102.html


Ausländische Arbeiter

 In der DDR  wurden sie Vertragsarbeiter genannt und hatten eine etwas andere Rolle.

Auch um die vier Millionen Flüchtlinge, die in den Westen geflohen waren, zu kompensieren, schloss man Anwerbeabkommen  ab: 1965 mit Polen, 1967 Ungarn, 1979 Mosambik  und 1980 Vietnam.

Als so genannte Bruderhilfe kamen auch wenige Arbeiter aus Angola, China, Kuba, Nicaragua, Jemen und Nordkorea.

In den rund 40 Jahren DDR waren somit knapp vier Millionen ausländische Arbeiter dort.



Schullektüren

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Schullekt%C3%BCren_in_der_DDR

https://virtuelles-ddrmuseum.de/seiten/schulliteraturddr.htm

https://www.buechereule.de/wbb/thread/12668-schulliteratur-wie-erinnert-ihr-euch-an-buecher-die-ihr-lesen-musstet/?pageNo=16

Bemerkenswert, dass Shakespeares Romeo und Julia offenbar unter der deutschen Literatur aufgeführt wurde. 

https://www.gutefrage.net/frage/wie-war-das-ddr-schulsystem

Es wurden einige wichtige Werke der klassischen deutschen Literatur gelesen (Goethe, Schiller usw.). In den höheren Klassenstufen gab es dazu einige wenige Werke der historischen humanistischen Weltliteratur.

Deutsche Literatur

Fremdsprachige Literatur

Sozialistische Literatur

Ein wesentlicher Bestandteil der Schullektüre waren Bücher von Autoren aus der DDR und aus der Sowjetunion. Dieses waren in den unteren Klassenstufen Kinderbücher, einige ohne offensichtliche politische Ausrichtung (Benno Pludra), andere als spannende Geschichten mit einem sozialistischen Hintergrund. In den höheren Klassenstufen waren die Inhalte dann oft ideologischer (Maxim Gorki, Dieter Noll).

DDR-Literatur

Sowjetische Literatur



Weitere Werke

Einige weitere Werke Bücher wurden nicht in allen Schulen gelesen oder nur in bestimmten Jahren. In den obersten Klassenstufen in der Erweiterten Oberschule (EOS) waren einige Werke aus der Weltliteratur fakultativ, meist nach Entscheidung der jeweiligen Deutschlehrer. (Auswahl)

Spielzeug

 Puppenstuben, -häuser, -möbel

Puppen, Puppenzubehör

Kartenspiele und Ähnliches

mehr zur DDR im virtuellen DDR-Museum



Stand die Mehrheit der Bevölkerung hinter dem NS-Regime?

 Natürlich will niemand für etwas zur Verantwortung gezogen wenn etwas Ungeheuerliches geschehen ist. Das war die Situation des Kollektivs d...