Donnerstag, 15. Mai 2025

Zur Geschichte der Asylverfahren

Asylrecht in Deutschland (Wikipedia)


Begrenzt humanitär von Michael Mayer ZEIT 

"Vor 60 Jahren führte die Bundesrepublik das individuelle Asylverfahren nach Artikel 16 des Grundgesetzes ein. Den Innenminister stellte damals die CSU."

Die Verfahren dauerten zu lange, zu viele Leute kämen ins Land, und am Ende werde man sie nicht mehr los. So geht die Klage heute, und so ging sie in der Bundesrepublik schon 1964. Aus Bayern kam damals ein radikaler Vorschlag: Weg mit den Asylverfahren! Dies wäre, hieß es zur Begründung des am 13. Februar 1964 vorgelegten Gesetzentwurfs, "ein bedeutsamer Schritt zur Verwaltungsvereinfachung und würde wahrscheinlich die Abwicklung der einschlägigen Asylfälle erheblich beschleunigen". In einer Sitzung der Innenministerien von Bund und Ländern erklärte der bayerische Ministerialdirigent Alexander Mayer dazu: "Mindestens vier Fünftel der Leute, die Asyl begehren, würde von vornherein gesagt werden, daß Asyl überhaupt nicht in Frage komme, und sie könnten wahrscheinlich schon an der Grenze zum großen Teil von der Grenzpolizei gefaßt und sofort zurücküberstellt werden."
Das Land Bayern konnte sich damals nicht durchsetzen – wobei humanitäre Argumente eine Nebenrolle spielten. Entscheidend war etwas anderes: Bund und Länder waren sich einig, dass sich die Zuwanderung nicht allein an den Außengrenzen kontrollieren und beschränken lasse, sondern dass es dazu Asylverfahren brauche. Am Ende der Debatte stand, vor genau 60 Jahren, die umfassende Einführung ebendieser Verfahren nach Artikel 16 des Grundgesetzes: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Dieser Satz galt seit 1949 (ZEIT Nr. 23/24), war in der Praxis aber lange Zeit kaum von Bedeutung. Asylpolitisch markiert das Jahr 1965 daher eine Wende.
Die Frage, wie die Zuwanderung zu regulieren ist, begleitete die Bundesrepublik von Anfang an. Schon im Juni 1949 verkündete ein Strategiepapier, dass es "den anhaltenden Zustrom illegaler Einwanderer und unerwünschter Flüchtlinge zu verhindern" gelte. Verfasst hatten es die Westalliierten, die Wege suchten, die deutsche Grenze effektiv zu sichern. Dies war ihnen bislang nicht gelungen, obwohl sie massiv Militär einsetzten. Vor allem nach Bayern reisten 1949 monatlich bis zu 4.000 ausländische Flüchtlinge illegal ein, die meisten über die Tschechoslowakei und Österreich; viele zogen in Staaten der Westalliierten weiter. Abhilfe, hieß es in dem Dokument, könnten Asylverfahren schaffen. Flüchtlinge, die an der Grenze um Asyl baten, sollten fortan in "besondere Aufnahmelager" gebracht werden. Hier wollte man sie "registrieren und überprüfen", um zu entscheiden, wer bleiben dürfe. Erklärtes Ziel war es, die meisten in ihre Heimat zurückzuschicken. Denn die Alliierten waren überzeugt, dass die Beweggründe der Flüchtlinge "in der Mehrzahl der Fälle nicht stark genug sind, um ihre Aufnahme zu rechtfertigen".
Spätestens Anfang der Sechzigerjahre stieg die Zahl der Geflüchteten aus dem nichtkommunistischen Ausland deutlich an. Deshalb schlug das Bundesinnenministerium – angeregt durch den Bundestag – im Februar 1964 vor, künftig auch diese Flüchtlinge einem Asylverfahren zu unterziehen, und zwar auf Basis von Artikel 16. Dies würde eine umfassende Kontrolle in Form einer Registrierung und sicherheitspolizeilichen Überprüfung der Betroffenen ermöglichen. Bislang hielten sich diese Menschen, so klagte das Bundesinnenministerium, "mehr oder weniger unkontrolliert irgendwo auf", da es bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kaum weitere Überprüfungen gab. Durch ein Asylverfahren, gab der zuständige Ministerialrat Kurt Breull am 9. März 1964 zu bedenken, sei "wenigstens eine gewisse Sicherheit gegeben, daß diese Leute nicht an einer Stelle zusammenströmen, sondern in das Wirtschaftsleben eingegliedert werden". Die Einführung von Asylverfahren diene daher "dem Sicherheitsbedürfnis" der Bundesrepublik "in weitestem Maße".
Noch wichtiger war dem Bundesinnenministerium, dass man künftig auch vorbestrafte Flüchtlinge aus dem nichtkommunistischen Ausland würde ausweisen können. Denn diesen wollte man nach ihrer Anerkennung eine Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewähren. Das war die entscheidende Neuerung des geplanten Ausländergesetzes: Fortan würden auch nach Artikel 16 anerkannte Flüchtlinge den strikteren Ausweisungsbestimmungen der Genfer Konvention unterliegen. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hatte diesen Schachzug ermöglicht.[...]
Breull und Füßlein vertraten keineswegs ausländerfreundliche Positionen. Beide waren ehemalige NSDAP-Mitglieder; Breull kam sogar aus der völkischen Bewegung, war schon 1930 in die Partei eingetreten und hatte der SA angehört. Von 1949/50 an waren er und Füßlein im Bundesinnenministerium ausgerechnet für Asyl- und Ausländerfragen zuständig. Nach jahrelanger Erfahrung im Ministerium wussten die beiden Beamten 1964 aber auch, dass sich eine martialische Rhetorik oft kaum in die Praxis umsetzen ließ. Dies erklärt ihren pragmatischen Ansatz. 

Und sie hatten Erfolg damit: Am 28. April 1965 wurde das Ausländergesetz verabschiedet, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einheitliche Asylverfahren für alle Flüchtlinge vorsah.

Der CSU-Bundesinnenminister Höcherl präsentierte dies als "praktisches Bekenntnis zu den unveränderlichen Grundsätzen der Menschlichkeit". Das waren zwar keine leeren Worte, aber der Hauptgrund für die Einführung von Asylverfahren war ein anderer: der Wunsch, so viele Menschen wie möglich aufgrund fehlender Verfolgungsgründe abweisen zu können. Ferner erlaubten die Verfahren erstmals eine umfassende Überprüfung und Kontrolle aller ins Bundesgebiet einreisenden ausländischen Flüchtlinge.

In der Praxis zeigte sich, dass der zweite Punkt der entscheidende war, denn "im großen Stil abschieben", das gelang schon damals nicht. Bereits in den Fünfzigerjahren nahm man im Bundesinnenministerium an, dass nur ein Teil der Menschen, die im Asylverfahren abgelehnt werden, auch ausgewiesen werden könnten – entweder weil sie staatenlos waren oder weil sie bereits zu lange im Bundesgebiet lebten. Deshalb sei, wenn "ein einmal ergangener Ausweisungsbefehl auf dem Papier stehenbleibt, von einer Ausweisung von vornherein abzusehen". Der bayerische Vorschlag hätte daran kaum etwas geändert. Zugleich hätte er eine systematische Kontrolle der Eingereisten erschwert. Und das Problem an der Grenze zu lösen, war schon den Alliierten nicht gelungen. [...]"

 https://www.zeit.de/2025/20/asylverfahren-geschichte-asylrecht-deutschland-migration

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Zur Geschichte von Asylrecht und Asylverfahren

  Begrenzt humanitär  ZEIT  Nr. 20/2025 14. Mai 2025 Vor 60 Jahren führte die Bundesrepublik das individuelle Asylverfahren nach Artikel  16...