„Viele sind sich der Ähnlichkeiten während der 40 Jahre Trennung nicht bewusst“ FR 30.9.23
Interview mit Gunilla Budde ["So fern, so nah. Die beiden deutschen Gesellschaften (1949-1989) 2022]
"Die Liebe zu Jeans und zum Kleingarten: Die DDR und die BRD hatten viel gemeinsam. Historikerin Gunilla Budde über eine geteilte deutsche Geschichte, von der wir auch jetzt noch lernen können. [...]
Die Gärten in der DDR wurden noch weit stärker als in der Bundesrepublik zur Selbstversorgung genutzt – und manchmal auch für mehr. In meinem Buch berichtet ein Zeitzeuge, dass er an einem Lebensmittelgeschäft ein Schild entdeckte, auf dem überraschenderweise nicht der Ver- sondern der Ankauf von Obst und Gemüse von Schrebergärten aus der Umgebung beworben wurde. Verlegen erklärte der Händler, dass er in seinem Laden ausschließlich Obst und Gemüse aus den umliegenden Kleingärten verkaufen würde. [...]
Über die gesamten 40 Jahre der Trennung wurden Pakete von West- nach Ostdeutschland geschickt. Was genau packten die Familienmitglieder ihren Verwandten hinein?
Zunächst gab es staatliche Vorgaben, was hinein durfte und was nicht. Das SED-Regime hatte die Sendungen genau im Auge, rechnete aber auch zunehmend mit ihnen. Die beliebtesten Produkte waren Bohnenkaffee, Seife, Perlonstrümpfe und Apfelsinen. Weil die Pakete oft länger unterwegs waren, faulten manchmal die Orangen schon etwas. Man kann sich vorstellen, dass sich dadurch ein ganz eigenartiger Duft entwickeln konnte: Eine Mischung aus Kaffee, überreifen Südfrüchten und Seife verbanden die ostdeutschen Familien mit den Paketen, gleichsam den Duft der großen, weiten Welt. Entsprechend fieberte man allmonatlich dem Westpaket entgegen.
[...] bei aller Freude, die sie auslösten, wurde die Geschichte der Westpakete nach und nach auch zu einer Geschichte der Missverständnisse. Allabendlich vorm Fernseher sah die Ostverwandtschaft im Werbefernsehen, was es im Westen alles an Markenprodukten zu kaufen gab. Das steigerte die Erwartungen, aber auch die Forderungen. Wenn dann der Aldi-Kaffee im Paket ankam, der im Westen selbst getrunken wurde – und nicht die ersehnte „Krönung“ – kam es zu Spannungen. Die Westverwandtschaft wiederum schickte teilweise auch noch in den 1970er Jahren Mehl, Butter und Rosinen, die in der DDR schon lange keine Mangelware mehr waren.
Als Dank für die West-Pakete kamen aber auch Päckchen aus dem Osten.
Eben dafür wurden diese Zutaten geschickt. Denn ein Klassiker zu Weihnachten war der Dresdner Stollen. Aber auch Langspielplatten des Thomaner-Chors und die handgeschnitzten Erzgebirgsengel waren beliebte Gegengaben, mit denen man sich im Osten revanchieren wollte, um nicht als bloßer Almosenempfänger dazustehen. Doch die spannungsreiche Schieflage blieb, denn Westpakete wurden bis zum Ende der DDR verschickt. [...]"
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