Auch
amerikanische Walfänger gehören zur Kulturgeschichte Europas
"[...] Der
britische Markt für Walfischtran begann bereits zu Beginn des 19.
Jahrhunderts allmählich flauer zu werden, denn man verwendete in
zunehmendem Maß Leuchtgas und Paraffin, die beide billiger waren;
dagegen konnten sich die Walfänger von Neuengland eines
ständig zunehmenden Binnenmarkts – in der Hauptsache in den
ländlichen Gebieten – erfreuen. Bis zum Jahre 1820 hatten die
Bewohner von Neuengland ihre alte Vorherrschaft wieder hergestellt;
um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren mehr als drei Viertel der
gesamten Walfangflotte der Welt in amerikanischen Händen, und die
englischen Walfangschiffe waren fast ganz aus dem pazifischen Raum
und aus den südlichen Breiten verschwunden.
Während
nun die Britten damit begannen, Ostaustralien und Nordwestamerika –
jedes auf eine begrenzte und ganz spezielle Art – zu besiedeln, war
die Europäisierung der Inseln im pazifischen Ozean im späten 18.
und im frühen 19. Jahrhundert in erster Linie das Werk der
amerikanischen Walfänger und Händler. Diese Männer waren
gewissermaßen das nautische Pendant zu jenen Pionieren, die den
amerikanischen Westen besiedelten, und sie waren ebenso wie jene
repräsentativ für die vermutlich wohl destruktivste Gesellschaft,
die es auf der Welt jemals gegeben hat. Sie beuteten die Inseln wie
völlig zügellose Privatunternehmen aus; es gab damals dort keine
verantwortliche Regierung, die sie in irgendeiner Form zur Mäßigung
gezwungen oder einer Kontrolle unterworfen hätte. Den Walen selbst
war nicht sofort dasselbe Los beschieden wie den Seeottern; das blieb
späteren Zeiten vorbehalten, in denen die Jäger in starkem Maß mit
mechanischen Hilfsmitteln arbeiteten. Auch die Polynesier erlitten
nicht gleich das Schicksal der Mohawks,
denn weder die Walfischjäger noch die Händler ließen sich für
dauernd in ihrem Territorium nieder. (S.508/509)
Jürgen
Osterhammel zum Walfang:
"[...] Der
Walfang erreichte den Höhepunkt seiner internationalen Bedeutung
etwa zwischen 1820 und 1860. [...] Neuentdeckungen von
Walpopulationen lösten "Ölkämpfe" zwischen einzelnen
Schiffen und ganzen nationalen Flotten aus, die an den Goldrausch in
Kalifornien oder Australien erinnerten. [...] 1848 reiche
Walfanggründe entdeckt, vor allem bevölkert von dem heute fast
verschwundenen
Grönlandwal,
die wichtigste Entdeckung überhaupt im Walfang des 19.Jahrhunderts,
denn keine Walart liefert durch ihre Barten besseres "Fischbein".
Sie führte zur ersten kommerziellen Präsenz der USA im maritimen
Norden, [...] Das Interesse der USA an Alaska wäre ohne diese
vorausgehende Entwicklung kaum denkbar. [...]
Die 1870er
Jahre waren eine allgemeine Krisenzeit für den amerikanischen
Walfang. Die einstweilige Rettung kam von der Nachfrageseite durch
das neue Schönheitsideal der Wespentaille und die dadurch
gestiegenen Ansprüche an eine Korsett-Technik, die auf die feste
Elastizität von Fischbeinstäbchen angewiesen war. Es lohnte sich
jetzt, noch weiter auf dem Meer vorzudringen. [...]
Das
einzige nicht-westliche Volk, das unabhängig von westlichen
Einflüssen Walen nachstellte, waren die Japaner. [...] Seit
dem späten 17.Jahrhundert verwandte man statt des Harpunierens die
Methode, Wale (die vor Japan zumeist zu kleineren und langsamer
schwimmenden Arten gehören) von Booten aus in große Netze zu
treiben. Die Verarbeitung der Wale, bei der nichts ungenutzt blieb,
geschah nicht auf Schiffen (wie bei den US-whalers),
sondern an Land. [...]
(Osterhammel: Die
Verwandlung der Welt, S.556/57)
Das
Erschreckende: Die Europäisierung Neuenglands (und der angehenden
USA) hat zu der nach John
H. Parry "vermutlich
wohl destruktivste[n] Gesellschaft, die es auf der Welt jemals gegeben
hat" (S.509) geführt.
Parrys Urteil geht selbstverständlich vor allem auf den auf
Völkermord hinauslaufenden Umgang mit der indigenen Bevölkerung
Nordamerikas zurück, die er in anderem Zusammenhang behandelt.
Von
den Gründen des Niedergangs der polynesischen Kultur
Einflüsse
von außen auf Polynesien (Wikipedia)
Königreich
Tahiti (Wikipedia)
Geschichte
Tahitis (Wikipedia)
[...]
die Polynesier erlitten nicht gleich das Schicksal der Mohawks,
denn weder die Walfischjäger noch die Händler ließen sich für
dauernd in ihrem Territorium nieder. Dass man jedoch diese wilden
Horden von disziplinlosen Seeleuten auf die Inselbevölkerung
losließ, erschütterte die fragilen Gesellschaftsstrukturen der
Inselbewohner. In Tahiti hatte der Zerfall der polynesischen
Lebensformen fast gleichzeitig mit dem Besuch der ersten Europäer
auf dieser Insel begonnen. Sowohl Cook als auch Bougainville hatten
diese Entwicklung vorausgesagt, und beide hatten auch die Faktoren
richtig erkannt, die die Hauptschuld an dieser Entwicklung trugen:
die bekannte Gruppe ansteckender Krankheit – einschließlich der
Geschlechtskrankheiten –, die sich unter den isolierten Völkern,
denen es an entsprechender Immunität mangelte, rasend schnell
ausbreiteten; eine gefährliche Abhängigkeit von europäischen
Werkzeugen und Gebrauchsgegenständen und eine sich daraus konsequent
ergebende Vernachlässigung angeborene Kunstfertigkeiten, die bis zu
deren völligem Verlust reichte; schließlich noch eine zunehmende
Missachtung der traditionellen Disziplin und eine Gleichgültigkeit
gegenüber den Sanktionen, mit deren Hilfe sie bisher aufrecht
erhalten worden war. Diese Entwicklung wurde natürlich dadurch
gefördert, dass sich im Inselbereich mächtige fremde Männer
befanden, denen gegenüber diese Sanktionen wirkungslos waren.
Nach
seinem zweiten Besuch auf Tahiti im Jahr 1792 berichtete Bligh,
dass bereits Waldfangschiffe die Insel anliefen; die Herstellung von
Steinäxten und von tapa –
Kleidung aus Feigenbaumbast, deren Schönheit Cook so gerühmt hatte
– war fast völlig eingestellt worden; viele Eingeborenen hatten
ihre anmutige eigene Kleidung weggeworfen und dafür die abgelegten
Kleidungsstücke der Seeleute angezogen, und selbst ihre Sprache
hatte sich mit einer Art englischem Jargon durchsetzt. Sie waren
schmutzig geworden, viele Inselbewohner infizierten sich mit
Geschlechtskrankheiten, und diese Krankheiten breiteten sich mit
rasender Eile weiter aus. (S. 508-510)
"Rum
und Feuerwaffen verstärkten noch die Auflösungserscheinungen. Viele
Einwohner Tahitis waren nach den Angaben von Blei bereits dem Alkohol
verfallen. Cooks alter Freund Tu (Pomare
I.) hatte von den Meuterer der Bounty eine
Anzahl von Musketen erworben, und er war auf dem besten Weg, nunmehr
das zu werden, wofür Cook ihn ursprünglich bereits gehalten hatte,
nämlich Oberhäuptling eines Großteils dieser Insel. Sowohl Rum als
auch Musketen waren wertvolle Handelsartikel, mit denen die
Besatzungen der Walfangfänger für die benötigten
Lebensmittelvorräte bezahlten. Die Macht eines Häuptlings wurde
nach der Zahl der europäischen Waffen bemessen, die er besaß. Die
Musketen verstärkten die zerstörenden Kräfte der zahlreichen
Stammeskriege und führten zu einem rücksichtslosen Despotismus im
Verhalten der Häuptlinge. Der Besitz solcher Feuerwaffen verlieh den
Diensten jener Männer, die diese Waffen zu gebrauchen wussten und
die sie auch – was im Grunde noch wichtiger war – reparieren
konnten, eine ganz besondere Bedeutung.
Darauf
beruhte auch die Bedeutung der so genannten
"Strandläufer" (beachcombers)
– Meuterer, Ausgesetzte, Deserteure von Walfangschiffen und
entflohene Sträflinge aus Neusüdwales:
diese Männer gliedern sich in die polynesischen Gesellschaft ein,
sie akzeptierten die polynesischen Lebensweise, sie bauten die
Ressentiments der Polynesier dadurch ab, dass sie anfangs völlig
hilflos waren, und sie wurden später häufig zu Protégés der
polynesischen Häuptlinge. Viele von ihnen hatten nur den einzigen
Wunsch, in einer Art alkoholischen Dämmerzustand am Strand zu liegen
und sich dort zu sonnen; aber es gab auch "Strandläufer",
die als Händler, Söldner, Politiker und in einigen kleinen Orten
sogar als örtliche Herrscher auftraten; indirekt trugen sie alle
dazu bei, die Gesellschaft, die sie tolerierte, zu unterminieren.
Am
anderen Ende der breiten Skala europäischer Eindringlinge standen
die Missionare. Das 18. Jahrhundert war in keinem Teil Europas ein
ausgesprochen religiöses Zeitalter. Der Versuch, mit großem Eifer
die Eingeborenen zu Christen zu bekehren, fand daher weder in
Regierungskreisen noch bei der Aristokratie – und nicht einmal bei
den anerkannten Kirchengemeinschaften selbst – besondere
Unterstützung. Weder die Kurie in Rom, noch irgendeiner der großen
katholischen Orden, noch die wohl etablierten Missionsgesellschaften
der anglikanischen Kirche machten sich sofort daran, das Evangelium
in der Südsee zu verbreiten. Die London
Missionary Society repräsentierte
die Dissidenten der englischen Mittelklasse, die die Autorität der
englischen Staatskirche nicht anerkannten; es handelte sich dabei um
eine Gruppe, die – abgesehen von einigen halbherzigen Versuchen
in Neuengland während
des 17. Jahrhunderts – sich bisher niemals mit der Verkündigung
Verkündung des Evangeliums außerhalb Europas befasst hatte. Unter
den 39 Menschen die im Jahr 1797 mit der Duff in
Tahiti eintrafen, befanden sich vier nonkonformistische Priester; die
übrigen waren Handwerker, von denen einige auch ihre Frauen und
Kinder mitgebracht hatten. Sie standen in schärfsten Gegensatz zu
allen dort anwesenden Gruppen: zu den Polynesien; zu den
vorübergehend dort anwesenden Walfängern und den raffgierigen
"Strandläufern" aller Schattierungen; zu den sich zwar
distanziert verhaltenden, dabei aber doch neugierigen Seeoffizieren
aus der Cookschen Schule; schließlich auch dem vornehmen
wissenschaftlichen Zirkel von Banks und
seinen Freunden. Sie waren eine tapfere Gruppe, die keine Hilfe von
Außenstehenden zu erwarten hatte, und daher ist ihr Erfolg bei der
Verkündigung des Evangeliums umso bemerkenswerter. Er ist zumindest
teilweise, zweifellos auf ihrer rückhaltlose Hingabe und auf ihre
absolute Gewissheit zurückzuführen - hier gab es doch endlich etwas
Sicheres und Vorhersagbares in einer aus den Fugen geratenen Welt;
der Erfolg war aber andererseits auch darauf zurückzuführen, dass
sie sich mit ihrer Umsicht und Ihrer Hartnäckigkeit die
Unterstützung der führenden einheimischen Häuptlinge zu sichern
wussten." (Seite 510-512)
(John
H. Parry: Europäische Kolonialreiche. Welthandel und
Weltherrschaft im 18. Jahrhundert, Kindlers Kulturgeschichte Europas,
Copyright Parry 1971, dtv 1983)