"[...] Hat die Geschichte ein Ziel?
Gerade in der Globalgeschichte müssen wir verschiedene Zeitvorstellungen und Zeitmuster neben-einander geltenlassen. Früher war die Annahme verbreitet, die sogenannten „Außereuropäer“ hingen zyklischen Vorstellungen von einer in mehr oder weniger großen Abständen immer wieder dasselbe hervorbringenden Geschichte an, während wir überlegenen Europäer den Zeitpfeil und mit ihm den Fortschritt entdeckt hätten. Gewiss, es gibt Fortschritt, es gibt Aufholjagden, aber es gibt auch Regression. Sie können nicht nur nacheinander auftreten, sondern auch gleichzeitig. Es gibt auch in der Moderne stillstehende Zeit, Stagnation. Mit all dem muss der Historiker – nun gar der Globalhistoriker – rechnen.
Sie sagen das heute. In einer globalisierten Welt, die doch eine Zeitrichtung hat? Wir alle blicken auf dieselben Börsen und spekulieren mit derselben Zukunft.
Die Standards sind nahe aneinandergerückt, die Maßstäbe sind oft dieselben. Aber gerade dadurch treten auch neue Widersprüche auf. Zum Beispiel der zwischen der Vernichtung von Dauer durch planetarische Gleichzeitigkeit auf der einen Seite und auf der anderen, der immensen Bedeutung des Wartens. Denken Sie an die Millionen Menschen in Flüchtlingslagern, die nichts anderes tun als warten. Da rast die Zeit nicht. Da steht sie bleiern still. Oder: Sie gerät in einen Leerlauf. Vielleicht wird das Warten umso schmerzhafter, je mehr die Zeit sich anderswo beschleunigt. Hier bewirkt die Globalisierung gerade nicht eine Vereinheitlichung von Zeiterfahrungen, sondern deren Auseinanderdriften. [...]"
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